Die Bücher und das Paradies
dieses Gerücht nicht öffentlich auf, und es
produzierte auch sonst keine interessanten Ergebnisse bis
zur Mitte des Jahrhunderts, als die Jesuiten anfingen, sich
über die antiklerikalen Väter des italienischen Risorgi-
mento Sorgen zu machen, über Leute wie Garibaldi, die
Verbindungen zu den Freimaurern hatten. Die Idee, den
Geheimbund der Carbonari als Handlanger einer jüdisch-
freimaurerischen Verschwörung hinzustellen, schien ihnen
vielversprechend.
Zur selben Zeit versuchten jedoch die antiklerikalen
Liberalen ihrerseits, die Jesuiten zu diffamieren und zu
beweisen, daß sie nichts anderes täten als Komplotte
gegen das Wohl der Menschheit zu schmieden. Mehr noch
als durch einige »seriöse« Autoren (von Michelet und
Quinet bis Garibaldi und Gioberti) wurde dieses Motiv
durch einen Romanautor populär gemacht, nämlich durch
Eugène Sue. In seinem Roman Der Ewige Jude erscheint
der böse Rodin, Inbegriff der jesuitischen Weltverschwö-
rung, unverkennbar als eine Neuauflage der Unbekannten
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Oberen freimaurerischen wie klerikalen Gedenkens. Und
er taucht erneut in Sues letztem Roman Die Geheimnisse
des Volkes auf, in dem der teuflische Plan der Jesuiten bis ins letzte verbrecherische Detail dargelegt wird. Rudolf
von Gerolstein, der aus den Geheimnissen von Paris in diesen Roman migriert ist, enthüllt den jesuitischen Plan
und prangert mit feurigen Worten an, »wie schlau dieser
höllische Plan erdacht worden ist, welch furchtbare
Leiden, welch grauenhafte Beherrschung, welch schreck-
lichen Despotismus er für Europa und die Welt bereithält,
falls er je gelingen sollte …«
1864, nachdem Sues Romane erschienen sind, schreibt
ein gewisser Maurice Joly eine liberal inspirierte Satire
gegen Napoleon III., worin Machiavelli, der den Zynismus
des Diktators repräsentiert, in der Hölle mit Montesquieu
debattiert. Dabei legt der Autor das von Sue beschriebene
Jesuitenkomplott fast wörtlich seinem Machiavelli – also
Napoleon III. – in den Mund.
1868 veröffentlicht Hermann Goedsche, ein deutscher
Postbeamter, der bereits andere offenkundig verleumde-
rische Broschüren geschrieben hatte, unter dem Pseudo-
nym »Sir John Retcliffe« einen Schauerroman mit dem
Titel Biarritz , in dem eine okkulte Zeremonie auf dem Prager Judenfriedhof beschrieben wird. Goedsche hatte
einfach eine Szene aus Dumas’ 1849 veröffentlichtem
Roman Joseph Balsamo kopiert, in der jenes Treffen
zwischen Cagliostro als Chef der Unbekannten Oberen
und anderen Erleuchteten geschildert wird, bei dem dann
alle das Komplott mit dem Halsband der Königin planen.
Doch anstelle von Cagliostro & Co. läßt Goedsche die
Vertreter der zwölf Stämme Israels auftreten, die sich auf
dem Prager Friedhof versammeln, um die Eroberung der
Welt vorzubereiten, wie der Großrabbiner ohne Um-
schweife enthüllt. Acht Jahre später, 1876, steht dieselbe
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Geschichte in einer russischen Hetzschrift namens Die
Juden, Herren der Welt , aber so, als wäre sie wirklich geschehen. 1881 bringt sie die französische Zeitung Le
Contemporain , die behauptet, sie aus sicherer Quelle zu haben, nämlich von dem englischen Diplomaten Sir John
Readcliff. 1896 wird die Rede des Großrabbiners (der jetzt
John Readclif heißt) erneut in dem Buch Les Juifs, nos
contemporains von François Bournand abgedruckt. Und
von nun an wird das von Dumas erfundene Freimaurer-
treffen, verschmolzen mit dem von Sue erfundenen Welt-
verschwörungsplan der Jesuiten, den Joly dann
Napoleon III. in den Mund gelegt hat, zur »wahren« Rede
des Großrabbiners und erscheint in diversen Formen an
verschiedenen Orten.
Um die Jahrhundertwende tritt eine Figur auf den Plan,
die keine Romanfigur ist, aber eine zu sein verdiente: Pjotr
Iwanowitsch Ratschkowski, ein Russe, der Kontakte zu
linksextremen Gruppen gehabt haben soll, dann Polizei-
spitzel geworden war, sich der rechtsextremen Terror-
organisation »Schwarze Hundertschaften« genähert hatte
und schließlich zum in Paris residierenden Auslandschef
der zaristischen Geheimpolizei, der gefürchteten Ochrana
ernannt worden war. Dieser Ratschkowski nun läßt, um
seinem Beschützer, dem Minister Sergej Witte, gegen
einen politischen Widersacher namens Ilja Zion oder Elie
de Cyon zu helfen, dessen Landhaus am Genfer See
durchsuchen und findet darin einen Text, in dem Cyon das
Pamphlet von Joly gegen Napoleon III. abgeschrieben,
aber die Ideen Machiavellis nun
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