Die Bücher und das Paradies
Geschichte. Tatsächlich erklärt Borges an
einer bestimmten Stelle, daß eine seiner Quellen ein Werk
von Johann Valentin Andreae gewesen sei, der (aber dies
350
habe er nur aus zweiter Hand durch einen Hinweis bei De
Quincey erfahren) »die imaginäre Gemeinschaft der
Rosenkreuzer beschrieb – die andere daraufhin gründeten,
indem sie seinen vorausschauenden Entwurf nach-
ahmten«.10
Die Fiktion der Rosenkreuzer hat in der Tat beträchtliche
Folgen in der Geschichte gehabt. Das Freimaurertum als
symbolische Transformation des realen Maurerwesens
(vertreten durch Handwerkerbünde, die sich Begriffe und
Zeremonien der alten Kathedralenerbauer über die Jahr-
hunderte bewahrt hatten) entstand im 18.
Jahrhundert
durch Initiative einiger englischer Aristokraten. Mit den
»Konstitutionen« von Anderson versuchten die Freimaurer
sich zu legitimieren, indem sie ihren Ursprung auf die
Erbauer des Salomonischen Tempels zurückführten. Mit
der einige Jahre später durch Ramsay erfolgten Gründung
der sogenannten »schottischen« Freimaurerei erweiterte
sich dieser Ursprungsmythos um die Beziehung zwischen
den Erbauern des Tempels und den Tempelrittern, deren
geheime Traditionen angeblich durch Vermittlung der
Rosenkreuzer in die Freimaurerei eingebracht worden
seien.
Hatte im ursprünglichen Freimaurertum das Rosen-
kreuzerthema mystische und okkultistische Elemente in
eine Organisation eingeführt, die sich als konkurrierend
mit Thron und Altar verstand, so war es zu Beginn des
19. Jahrhunderts gerade die Verteidigung von Thron und
Altar, um derentwillen der Rosenkreuzer- und Templer-
mythos wiederaufgenommen wurde, um mit ihm den Geist
der Aufklärung zu bekämpfen.
10 Vgl. J. L. Borges, Ges. Werke 3/I, Erzählungen , Hanser 1981, S. 96 u. 98 f. (A. d. Ü.).
351
Über den Mythos der Geheimgesellschaften und die
Frage, ob es »Unbekannte Obere« gebe, die die Geschicke
der Welt lenkten, wurde schon vor der Französischen
Revolution diskutiert. 1789 warnte ein angeblicher
Marquis de Luchet (in seinem Essai sur la secte des
illuminés ), es habe sich »inmitten der dichtesten Finsternis eine Gesellschaft von neuen Wesen gebildet, die sich
kennen, ohne sich je gesehen zu haben
… Diese
Gesellschaft übernimmt vom Jesuitenregime den blinden
Gehorsam, von der Freimaurerei die Prüfungen und die
äußeren Zeremonien, von den Templern die Evokationen
der Untergründe und die unglaubliche Kühnheit.«
In den Jahren 1797 – 98 schrieb dann, als Antwort auf
die Französische Revolution, der Abbé Barruel seine
Mémoires pour servir à l’histoire du jacobinisme , ein dem Anschein nach historisches Werk, das sich jedoch wie ein
Schauerroman liest: Nachdem der Templerorden 1307 von
Philipp dem Schönen zerschlagen worden ist, verwandeln
die Templer sich in eine Geheimgesellschaft mit dem Ziel,
die Monarchie und das Papsttum zu stürzen. Im acht-
zehnten Jahrhundert bemächtigen sie sich der Freimaurerei
und gründen eine Art Akademie, deren teuflische
Mitglieder Voltaire, Turgot, Condorcet, Diderot und
d’Alembert sind – und aus diesem Zirkel gehen die
Jakobiner hervor. Doch die Jakobiner werden ihrerseits
von einer noch geheimeren Gesellschaft kontrolliert,
nämlich den Bayerischen Illuminaten, die Tag und Nacht
nur auf Königsmord sinnen. Die Französische Revolution
war das Endergebnis dieses Komplotts.
Was störte es da, daß tiefe Differenzen zwischen der
laizistisch-aufklärerischen Freimaurerei und jener der
»Illuminaten« bestanden, die eher okkultistisch-
templerisch war, was störte es, daß der Templermythos
bereits durch einen Weggefährten liquidiert worden war,
352
der dann einen anderen Weg eingeschlagen hatte, ich
spreche von Joseph de Maistre … Die Geschichte war
einfach zu faszinierend.
Das Buch von Barruel enthielt noch keinerlei
Anspielung auf die Juden. Aber 1806 bekam Barruel einen
Brief von einem gewissen Hauptmann Simonini, der ihn
mit Nachdruck an die jüdische Omnipräsenz erinnerte:
Auch Mani (der Begründer des Manichäismus) und der
protoislamistische »Alte vom Berge« (mit dem die
Templer verdächtigt wurden, sich heimlich verständigt zu
haben) seien Juden gewesen – und hier wird das Spiel der
verborgenen Ursprungs- und Wechselbeziehungen
schwindelerregend. Die Freimaurerei sei von Juden ge-
gründet worden, und sämtliche existierenden Geheim-
gesellschaften seien von Juden infiltriert.
Barruel griff
Weitere Kostenlose Bücher