Die Bücher und das Paradies
Sterne seien
14 Siehe zum Beispiel Nicholas Goodrick-Clarke, Die okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus , Graz, Stocker, 1997, oder René Alleau, Hitler et les sociétés secrètes , Paris, Grasset, 1969.
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keine Himmelskörper, sondern visuelle Effekte, die durch
verschiedene Phänomene hervorgerufen würden.
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Theorie in
Deutschland perfektioniert, zuerst von einem Peter Bender
und dann von Karl Neupert, dem Begründer der
»Hohlweltlehre«, der eine regelrechte Bewegung ins
Leben rief. Nach Aussage einiger Zeitzeugen15 wurde die
Theorie in NS-Führungskreisen durchaus ernst ge-
nommen, und in Teilen der deutschen Marine habe man
geglaubt, mit der Hohlweltlehre werde es möglich, die
Positionen der britischen Schiffe genauer zu bestimmen,
denn bei Benutzung von Infrarotstrahlen werde die
Beobachtung nicht mehr durch die Krümmung der Erd-
oberfläche behindert. Es heißt sogar, einige V2-Raketen
hätten ihre Ziele nur deshalb verfehlt, weil ihre
Flugbahnen ausgehend von der Annahme einer konkaven
und nicht konvexen Erdoberfläche berechnet worden
seien. Woran man sieht – wenn es stimmt –, welche
segensreiche und geschichtsmächtige Wirkung delirante
Astronomien haben können.
Aber es ist leicht zu sagen, daß die Nazis eben verrückt
waren und inzwischen –
außer dem guten Martin
Bormann, der immer noch irgendwo versteckt sein soll –
alle tot sind. Tatsache ist, daß man, wenn man im Internet
mit einer beliebigen Suchmaschine nach Websites zum
Thema Hohlwelt oder Hollow Earth sucht, immer noch
sehr viele Anhänger der Theorie findet. Und es ist müßig
zu sagen, daß diese Websites (und die Bücher, für die sie
15 Zum Beispiel Gerard Kniper vom Observatorium Mount Palomar, in einem Artikel der Zeitschrift Popular Astronomy von 1946, und Willy Ley, der in Peenemünde an Hitlers V-Waffen-Programm
mitgearbeitet hatte, in seinem Artikel »Pseudoscience in Nazi-
land«, in Astounding Science Fiction , 39, 1947.
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werben) von raffinierten Schwindlern produziert worden
sind, die auf ein Publikum aus leicht verführbaren New-
Age-Trotteln und/oder -Gläubigen spekulieren. Das
soziale und kulturelle Problem sind nicht die Schwindler,
sondern die Trottel, deren Zahl offensichtlich noch immer
Legion ist.16
Was verbindet nun all diese Fiktionen, von denen ich
hier gesprochen habe, und was hat sie so überzeugend und
glaubwürdig gemacht?
Die Konstantinische Schenkung war vermutlich nicht als
bewußte Fälschung entstanden, sondern als rhetorische
Übung, die erst später jemand ernst zu nehmen begann.
Die Manifeste der Rosenkreuzer waren, jedenfalls nach
Aussage ihrer mutmaßlichen Autoren, ein gelehrter Scherz
und wenn nicht geradezu ein Studentenjux, so doch
höchstens eine literarische Übung in dem damals beliebten
Genre der Utopien.
16 1926 hatte Admiral Byrd den Nordpol überflogen und 1929 den Südpol, ohne irgendein Loch zu finden, das ins Innere der Erde führte, doch über die Reisen Byrds ist eine breite Literatur
entstanden (man suche nur einmal im Internet nach »Byrd«), in der allerlei bizarre Geister seine Entdeckungen im entgegengesetzten Sinn interpretieren, nämlich als Beweise dafür, daß es diese Ein-gangslöcher gebe. Auch weil auf Luftbildern der betreffenden
Gegenden eine dunkle Zone zu sehen ist, die jenen Teil der Arktis darstellt, der im Winter nie von der Sonne beschienen wird. Wer nach Karten sucht, die zeigen, wo es an den Polen ins Erdinnere geht, findet sie auf Sites wie www.v-j-enterprises.com/
holearth.html oder www.ourhollowearth.com/PolarOpn.htm.
Wer
tiefer in den Archipel der Hohlwelt eindringen will,
kann
zahlreiche Sites besuchen, ich nenne hier nur
http://www.healthresearchbooks.com/categories/hollowearth.htm
oder http://www.hohle-erde.de/body_l-he.html. Freilich darf man sich nicht der Leichtgläubigkeit überlassen.
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Der Brief des Priesters Johannes war sicher eine
bewußte Fälschung, aber er sollte wohl nicht die Folgen
haben, die er faktisch hatte.
Kosmas Indikopleustes war dem Fundamentalismus
erlegen, eine verzeihlichen Schwäche in seiner Zeit, aber
wie wir sahen, hat ihn niemand wirklich ernst genommen,
und sein Text ist ironischerweise erst tausend Jahre später
als »maßgeblich« wieder ausgegraben worden.
Die »Protokolle« sind zunächst fast von allein
entstanden, durch Agglomeration von Romanthemen, die
nach und nach die Phantasie einiger
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