Die Bücher und das Paradies
irgendwelcher
Gattungen gehorchte) mündete in die Enzyklopädie – und
mit dem Wissen von heute sieht man, wie die Kühnheiten
der Kindheit die Schwächen des Erwachsenen
determinieren können.
Als ich nicht mehr wußte, was ich der Insel und ihrem
Herrscher noch widerfahren lassen sollte, ließ ich ihn auf
Seite 29 mit den Worten schließen: »Ich werde eine lange
Reise unternehmen … Vielleicht werde ich auch nicht
wiederkommen. Ein kleines Geständnis: In den ersten
Tagen habe ich mich als Zauberer bezeichnet. Das war
gelogen, ich heiße nur Pirimpimpino. Verzeiht mir.«
Nach diesen Versuchen beschloß ich, mich auf Comics
zu verlegen, und brachte tatsächlich einige zustande. Hätte
es damals schon Fotokopierer gegeben, ich hätte sie weit
verbreitet. Statt dessen schlug ich meinen Schulkameraden
vor, um der Ressourcenknappheit meiner Schreibwerkstatt
abzuhelfen, mir so viele Lagen Karopapier zu geben, wie
das Album Seiten enthielt, plus einige zur Kompensation
der aufgewandten Mühe und Tinte, und versprach ihnen,
entsprechend viele Kopien des Abenteuers zu produzieren.
Ich fertigte alle Verträge aus, ohne mir bewußt zu machen,
wie mühsam es sein würde, zehnmal denselben Comic zu
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zeichnen. Am Ende mußte ich das Papier beschämt
zurückgeben, gedemütigt für mein Scheitern nicht als
Autor, sondern als Verleger.
In der Unterstufe des Gymnasiums schrieb ich
Erzählungen, weil damals die traditionellen Schulaufsätze
mit vorgegebenen Themen durch sogenannte »Chroniken«
ersetzt worden waren, in denen man frei gewählte
Erlebnisse erzählen sollte. Ich glänzte mit humoristischen
Stücken. Mein Lieblingsautor war damals P. G. Wode-
house. Mein Meisterwerk besitze ich noch: die Be-
schreibung, wie ich einmal vor Nachbarn und Ver-
wandten, nach langer Vorbereitung und vielen Versuchen,
ein technisches Wunderwerk vorgeführt hatte: eines der
ersten unzerbrechlichen Gläser, das ich triumphierend zu
Boden fallen ließ, wo es natürlich in Scherben ging.
1944 – 45 beschäftigte ich mich mit Epik, mit einer
Parodie der Divina Commedia und einer Reihe von
Porträts der olympischen Götter, wiederbesichtigt in jenen
dunklen Jahren, das heißt im täglichen Ringen mit der
Lebensmittelrationierung, der allabendlichen Verdunke-
lung und den Liedern von Rabagliati. Alles in klassischen
Elfsilblern. Solchen wie diesen, damit wir uns recht ver-
stehen:
Ecco qui Apollo, 1’anima più eletta
di quell’Olimpo degli Dei magione,
suonare qualche lieve musichetta,
senza. più cetra o Um, ed ha, ragione;
ei suona il pianoforte, la, cornetta,
il flauto, fisarmonica e trombone.
Perché sprecar la lira se il denaro
per comprar l’olio in questi tempi è caro?
Hier sehen wir Apoll, die erlesenste Seele
dieses Olymps, der Götter Behausung,
ein leichtes Musikstückchen spielen,
nicht mehr auf der Kithara oder der Lyra, und er hat recht;
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er spielt Klavier, Kornett,
Flöte, Ziehharmonika und Posaune.
Warum die Lyra (= Lira) verschwenden, wenn das Geld
zum Kauf von Öl in diesen Zeiten so teuer ist?
In den nächsten zwei Gymnasialjahren schrieb ich eine
Vita illustrata di Euterpe Clips (mit Illustrationen), deren literarisches Vorbild die Romane von Giovanni Mosca
und Giovanni Guareschi waren. Es folgten einige
Erzählungen mit ernsteren literarischen Absichten. Ich
würde sagen, der beherrschende Ton war ein magischer
Realismus à la Bontempelli. Lange Zeit bin ich früh
aufgestanden, um an einer Novelle namens »Das Konzert«
zu arbeiten, die eine interessante erzählerische Idee
enthielt. Mario Tobia, ein erfolgloser Komponist, holt alle
spiritistischen Medien der Welt zusammen, um sich von
ihnen die großen Musiker der Vergangenheit in Form von
Ektoplasmen aufs Podium produzieren zu lassen, zwecks
Aufführung seiner Komposition Konradin von Schwaben .
Beethoven als Dirigent, Liszt am Flügel, Paganini an der
Geige etc. Ein einziger Zeitgenosse, der schwarze Jazzer
Louis Robertson, an der Posaune. Die Beschreibung war
nicht schlecht, wie es den Medien allmählich nicht mehr
gelang, ihre Kreaturen am Leben zu erhalten, so daß die
Großen der Vergangenheit sich nach und nach auflösten,
unter dem dissonanten Miauen und Krächzen ersterbender
Instrumente, bis allein auf dem Podium, hoch, magisch,
unangefochten, Robertsons Posaune ertönte.
Ich sollte meine getreuen Leser (vierundzwanzig an der
Zahl, um nicht mit dem Meister zu
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