Die Bücher und das Paradies
verhielt es sich
komplizierter. Die Bild-Keimzelle – genauer: die zwei
Bilder, aus denen das Ganze hervorgehen sollte – habe ich
mir erst suchen müssen, so wie ein Psychoanalytiker das
Geheimnis seines Patienten nach und nach aus
Erinnerungsfetzen und Traumfragmenten zutage fördert.
Am Anfang hatte ich nur eine Unruhe: Ich habe einen
Roman geschrieben, sagte ich mir, den ersten meines
Lebens, und vielleicht den letzten, denn mir scheint, daß
ich alles hineingelegt habe, was mir Vergnügen und was
mir Sorgen bereitet, und alles, was ich, sei’s auch nur
indirekt, über mich sagen kann. Gibt es noch etwas
anderes, was wirklich zu mir gehört und was ich erzählen
könnte? So kamen mir zwei Bilder in den Sinn.
Das erste war das des Pendels, das ich zum ersten Mal
vor über dreißig Jahren in Paris gesehen hatte. Es hatte mir
großen Eindruck gemacht, und ich sage nicht, daß ich es
die ganze Zeit über vergessen hätte. Im Gegenteil, in den
sechziger Jahren bin ich einmal von einem befreundeten
Regisseur gebeten worden, das Drehbuch für einen Film
zu schreiben. Ich möchte hier nicht darüber sprechen, denn
das Sujet ist dann schlecht verwendet worden, um daraus
einen scheußlichen Film zu machen, der mit meiner
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ursprünglichen Idee nichts mehr zu tun hatte, und zum
Glück konnte ich erreichen – auch dank der Tatsache, daß
ich nur ein symbolisches Honorar bekommen hatte –, daß
mein Name nirgendwo erwähnt wurde. Aber es gab in
jenem Drehbuch eine Szene, die in einer Höhle spielte, in
deren Mitte ein Pendel hing, an das sich dann jemand
klammerte, um durchs Dunkel zu schwingen.
Das zweite Bild, das sich mir aufdrängte, war das von
mir selbst als dreizehnjährigem Bub, der bei einem
Begräbnis von Partisanen die Trompete spielte. Eine
wahre Geschichte, die ich übrigens immer wieder erzählt
hatte. Nicht oft, aber stets in Situationen von großer
Zärtlichkeit: spätabends bei einem letzten Whisky im
Dunkel einer einladenden Bar, oder bei einem Spaziergang
am Ufer eines stillen Gewässers, wenn ich spürte, daß eine
Frau vor mir oder an meiner Seite nichts anderes
erwartete, als eine schöne Erzählung zu hören, um dann zu
sagen »wie schön« und meine Hand zu nehmen. Eine
wahre Geschichte, mit der sich verschiedene Erinnerungen
verbanden und die ich als schön empfand.
Das war’s: das Pendel und jene Szene auf einem
Friedhof an einem sonnigen Morgen. Ich spürte, daß ich
von diesen beiden Dingen würde erzählen können. Das
Problem war nur: Wie kommt man vom Pendel zur
Trompete? Die Antwort hat mich acht Jahre gekostet, und
sie ist der Roman.
Auch bei der Insel des vorigen Tages bin ich von zwei sehr kräftigen Bildern ausgegangen, die mir fast sofort vor
Augen standen, als ich mich fragte: Was könnte ich
erzählen, wenn ich einen dritten Roman schreiben müßte?
Ich habe zuviel von Klöstern und Museen erzählt, sagte
ich mir, also von Stätten der Kultur: Ich sollte es einmal
mit der Natur versuchen. Einfach Natur und sonst gar
nichts. Und wo würde ich gezwungen sein, nichts als
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Natur zu sehen? Bei einem Schiffbrüchigen auf einer
einsamen Insel.
Zur selben Zeit, aber aus ganz anderen Gründen, hatte
ich mir eine jener Uhren mit »Weltzeit« gekauft, auf
denen sich ein mittlerer Kranz gegen den Uhrzeigersinn
dreht, um die Ortszeit mit einer Reihe von Ortsnamen auf
einem größeren Kranz zu korrelieren. Diese Art Uhren
haben auch ein Zeichen, das die Datumslinie anzeigt. Daß
es diese Linie gibt, wissen wir alle, sei’s auch nur aus der
Lektüre von In achtzig Tagen um die Welt , aber wir
denken nicht jeden Tag daran. Für mich war es wie eine
Offenbarung: Mein Schiffbrüchiger mußte sich westlich
dieser Linie befinden und eine Insel im Osten sehen, die
nicht nur räumlich entfernt war, sondern auch zeitlich.
Von da bis zu der Entscheidung, ihn nicht auf diese Insel,
sondern vor sie zu versetzen, war es nur ein kleiner Schritt.
Doch zunächst gab nur meine Uhr an dem
schicksalsträchtigen Punkt die Alëuten-Inseln an, und ich
sah keinen rechten Grund, jemanden dorthin zu versetzen,
um ihn etwas tun zu lassen. Wohin? Sollte er auf einer
Ölplattform zurückgeblieben sein? Außerdem muß ich,
wie ich gleich noch genauer ausführen werde, wenn ich
von einem Ort erzählen will, dort gewesen sein, und die
Vorstellung, mich in eine so kalte Gegend zu begeben, um
nach einer Ölplattform zu suchen, war alles
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