Die Bücher und das Paradies
verwerflich
erschienen war wie uns heute der Verdacht, das Univer-
sum existiere womöglich gar nicht, dann ist es gut, sich
den Kopf frei und kühl zu halten für den Moment, in dem
die Gemeinschaft der Wissenschaftler dekretieren könnte,
daß die Idee des Universums eine Illusion war, so wie die
der Erde als flacher Scheibe und die der Rosenkreuzer.
Im Grunde ist es die erste Pflicht des gebildeten
Menschen, sich bereit zu halten, die Enzyklopädie jeden
Tag neu zu schreiben.
368
Wie ich schreibe1
Die frühen Anfänge
Als Autor narrativer Werke bin ich ein eher anomales
Subjekt. Denn ich habe im Alter von acht bis fünfzehn
angefangen, Erzählungen und Romane zu schreiben, dann
habe ich aufgehört, um es erst mit annähernd fünfzig neu
zu versuchen. Vor diesem Ausbruch lange gereifter
Schamlosigkeit habe ich mehr als dreißig Jahre in
vorgeblicher Scham gelebt. Ich sage »vorgeblich«. Dazu
gleich mehr. Aber gehen wir der Reihe nach vor, also
machen wir, wie es meine erzählerische Gewohnheit ist,
einen Schritt zurück.
Angefangen mit dem Romanschreiben habe ich so: Ich
nahm ein Heft und schrieb die Titelseite. Der Titel klang
nach Salgari, denn seine Romane waren meine Quellen
(zusammen mit denen von Verne, Boussenard und
Jacolliot in den Jahrgängen 1911 – 1921 des Giornale
illustrato dei viaggi e delle avventure di terra e di mare , die ich in einer Kiste im Keller entdeckt hatte). Also Titel
wie Gli scorridori del Labrador (Die Kundschafter von 1 Erweiterte Fassung meines Beitrags zu einem Sammelband von
Maria Teresa Serafini (Hg.), Come si scrive un romanzo (Mailand, Bompiani, 1996). Die Herausgeberin hatte einer Anzahl Autoren
eine Reihe von Fragen gestellt, die den Abschnitten dieses Beitrags entsprechen. Inzwischen ist mein vierter Roman, Baudolino , erschienen, und so habe ich einige Seiten über meine bisher letzte Erfahrung als Romancier eingefügt.
369
Labrador) oder Lo sciabecco fantasma (Der Geisterkahn).
Dann schrieb ich unten den Verlag hin, er hieß Tipografia
Matenna (eine kühne Zusammenziehung von matita und penna , Bleistift und Feder). Danach machte ich mich an die Auswahl der Illustrationen, die alle zehn Seiten eingefügt werden sollten, nach dem Muster der Illustrationen
von Della Valle oder Amato in den Salgari-Ausgaben.
Die Auswahl der Illustrationen bestimmte die Ge-
schichte, die ich dann schreiben mußte. Tatsächlich
schrieb ich einige Seiten des ersten Kapitels. Doch um die
Sache richtig professionell aussehen zu lassen, schrieb ich
in Blockschrift, ohne mir irgendwelche Korrekturen zu
erlauben. Versteht sich, daß ich das Unternehmen nach
einigen Seiten abbrach. So war ich zu jener Zeit nur der
Autor großer unvollendeter Romane.
Von dieser Produktion (die bei irgendeinem Umzug
verlorengegangen ist) habe ich nur noch ein Werk, das
zwar vollendet, aber von unbestimmter Gattung ist. Ich
hatte eine Art großes Schreibheft geschenkt bekommen,
dessen Seiten feine waagerechte Linien und breite
veilchenblaue Ränder aufwiesen. Das brachte mich auf die
Idee (auf der Titelseite steht das Datum 1942, XXI Era
Fascista , wie es damals Pflicht und Brauch war), ein Werk namens In nome del » Calendario «zu schreiben, das Tagebuch eines Zauberers Pirimpimpino, des Entdeckers,
Kolonisators und Reformators einer Insel im Arktischen
Eismeer namens Ghianda, deren Bewohner den Gott
Calendario anbeteten. Dieser Pirimpimpino notierte Tag
für Tag mit großer dokumentarischer Pingeligkeit Fakten
und (wie ich heute sagen würde) sozio-ethnologische
Strukturen seines Volkes, wobei er diese trockenen Auf-
zählungen mit kleinen literarischen Übungen auflockerte.
Zum Beispiel finde ich da eine »futuristische Erzählung«,
die so geht: »Luigi war ein tapferer Mann, weshalb er sich,
370
nachdem er die Teller der Häsinnen geküßt hatte, in den
Lateran begab, um das passato prossimo zu kaufen […]
Doch unterwegs fiel er in einen Berg und starb.
Erschütterndes Beispiel für Heroismus und Philanthropie,
wurde er von den Telegrafenmasten beweint.«
Im übrigen beschrieb (und zeichnete) der Ich-Erzähler
die Insel, über die er herrschte, mit Wäldern, Seen, Küsten
und bergigen Gegenden, erging sich über seine sozialen
Reformen, über Riten und Mythen seines Volkes, stellte
seine Minister vor, berichtete von Kriegen und
Pestilenzen … Der Text alternierte mit Zeichnungen, und
die Erzählung (die keinerlei Regeln
Weitere Kostenlose Bücher