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Die Bücher und das Paradies

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Titel: Die Bücher und das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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an
    die besten seiner Paradoxa, sondern einzig daran interes-
    siert war, eine Gesellschaft vorzuführen, die solche
    Sprüche zu schätzen wußte.
    Im übrigen sagt er das selbst. Man lese nur diesen Dialog
    in The Importance of Being Earnest :
    Algernon : Alle Frauen ähneln mit der Zeit ihren Müttern. Das ist ihre Tragik. Aber nie ein Mann. Das ist seine Tragik.
    Jack : Findest du das geistreich?
    Algernon : Es ist perfekt formuliert. Und so zutreffend, wie man es unter kultivierten Leuten von einem Aperçu erwarten darf.
    Darum sollte man Oscar Wilde nicht als einen
    liederlichen Aphoristiker ansehen, sondern als einen
    Satiriker und Kritiker der herrschenden Bräuche. Daß er
    dann in und mit diesen Bräuchen sehr gut zu leben
    verstand, ist eine andere Sache und war sein Pech.
    Sehen wir das Bildnis des Dorian Gray einmal daraufhin durch. Bis auf wenige Ausnahmen werden die denk-würdigsten Aphorismen dem als seichten Salonlöwen
    porträtierten Lord Henry Wotton in den Mund gelegt.
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    Wilde präsentiert sie uns keineswegs als Lebensregeln, die
    er selber für richtig hielte.
    Lord Henry formuliert, wenn auch mit Esprit, eine
    unerträgliche Reihe von Gemeinplätzen der viktoria-
    nischen Gesellschaft (und gerade deshalb delektierten sich
    Wildes Leser an seinen falschen Paradoxa): Ein Bischof
    sagt als Achtzigjähriger noch genau dasselbe, was man ihn
    als Achtzehnjährigen gelehrt hat. Das Gewöhnlichste wird
    begehrenswert, sobald man es versteckt. Der einzige Reiz
    der Ehe liegt darin, daß sie ein Leben in Täuschung für
    beide Teile unentbehrlich macht (später wird Lord Henry
    jedoch sagen, der wahre Nachteil der Ehe sei, daß sie
    selbstlos mache). Nicht einmal zehn Prozent der
    Proletarier leben rechtschaffen. Heutzutage bringt es ein
    gebrochenes Herz zu vielen Auflagen. Die Jungen
    möchten treu sein und sind es nicht, die Alten würden gern
    untreu sein und können es nicht. Nur wer seine
    Rechnungen bezahlt, braucht Geld, und ich bezahle meine
    nie. Ich möchte in England nichts ändern, nur das Klima.
    Um die eigene Jugend wiederzufinden, muß man nur
    dieselben Verrücktheiten wieder begehen. Männer
    heiraten aus Müdigkeit und Frauen aus Neugier. Keine
    Frau ist ein Genie, die Frauen sind ein dekoratives
    Geschlecht. Frauen haben einen wunderbaren Sinn für die
    Praxis: wir vergessen oft, von Heirat zu sprechen, aber sie
    erinnern uns immer wieder daran. Wenn wir glücklich
    sind, sind wir immer gut, aber wenn wir gut sind, sind wir
    nicht immer glücklich. Die wahre Tragik der Armen ist,
    daß sie sich nichts außer der Selbstaufopferung gönnen
    (wer weiß, ob Lord Henry das Kommunistische Manifest
    gelesen hatte und wußte, daß die Proletarier nichts zu
    verlieren haben als ihre Ketten?). Es ist besser zu lieben,
    als geliebt zu werden, geliebt zu werden ist eine
    Belästigung. Mit jedem Effekt, den wir erzielen, machen
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    wir uns einen Feind, um beliebt zu sein, muß man
    mittelmäßig sein. Auf dem Land kann jeder gut sein, dort
    gibt es keine Versuchungen. Das Eheleben ist nur eine
    Gewohnheit. Das Verbrechen ist das Vorrecht der
    Unterklassen, für sie ist das Verbrechen das, was für uns
    die Kunst ist: eine Art und Weise, sich Gefühle außerhalb
    des Gewöhnlichen zu verschaffen. Mord ist immer ein
    Fehler, man sollte nie etwas tun, worüber man nicht nach
    dem Essen reden kann …5
    Neben diesen Platitüden, die nur darum brillant
    erscheinen, weil sie in Salven abgeschossen werden – wie
    bei jener Technik der Aufzählung, in der die banalsten
    Wörter an Glanz gewinnen, weil sie ein inkongruentes
    Verhältnis mit ebenso banalen anderen Wörtern ein-
    gehen –, bezeugt Lord Henry ein besonderes Genie im
    Aufspüren von Gemeinplätzen, die sogar für die Spruch-
    kärtchen in Pralineschachteln zu fad wären, und macht sie
    durch Umkehrung würzig:
    Natürlichkeit ist nichts als Pose, und zwar die ärgerlichste, die ich kenne. Die einzige Art, eine Versuchung loszuwerden, ist, ihr nachzugeben. Ich liebe die einfachen Freuden, sie sind die letzte Zuflucht der komplizierten Personen.
    Was ich hören will, ist eine Neuigkeit, natürlich keine nützliche, sondern eine unnütze.
    Alles flößt mir Mitleid ein, nur nicht das Leiden.
    Heutzutage entdecken viele, wenn es zu spät ist, daß die
    einzigen Dinge, die man niemals bedauert, die eigenen Fehler sind.

    5 Eco zitiert aus der Buchfassung von 1891, die sechs Kapitel mehr als die 1890 veröffentlichte Fassung in

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