Die Bücher und das Paradies
rhetorische Inkontinenz), nicht eine philosophische Passion.
Auf einen Aphorismus hätte Wilde allerdings geschworen, und darauf hat er im Grunde sein Leben gesetzt: »Alle
Kunst ist gänzlich nutzlos.«
107
A portrait of the artist as a bachelor1
Vermutlich bin ich der am wenigsten geeignete Festredner
für eine Feier zum Gedenken der Verleihung des Bachelor
of Arts an Joyce, hatte es doch in einem Artikel des St.
Stephen’s Magazine von 1901 geheißen, Joyce sei durch die Ideen aus Italien verdorben worden. Aber nicht ich war
es, der diese Gedenkfeier gewünscht hat, die
Verantwortung trägt das University College. Was den
Titel meines Vortrags angeht, so ist mein intertextuelles
Spiel kein besonders geistreiches, aber ich bin ja auch nur
ein playboy of the southern world.
Dennoch fühle ich mich durch den gewählten Titel ein
wenig beengt: Ich hätte gern auch von jenen Zeiten
gesprochen, als Jim auf dem Clongowes Wood College
sein Alter mit »I am half past six« angab. Aber schweifen
wir nicht ab und befassen wir uns mit Joyce in seiner
Eigenschaft als bachelor.
Vermutlich wissen Sie alle, daß bachelor in vielen
zeitgenössischen Studien über Semantik ein magisches
Wort geworden ist, das sich von einem Autor zum anderen
weitervererbt als schlagendes Beispiel für einen
mehrdeutigen Begriff, der mindestens vier verschiedene
Bedeutungen hat. Ein bachelor ist a) ein noch unverheirateter junger Mann, b) ein angehender Ritter im Dienst
1 Vortrag am 31. Oktober 1991 im Dubliner University College zum Jahrestag der Verleihung des Bachelor of Arts an James Joyce. Die englische Fassung ist erschienen in Umberto Eco und Liberato
Santoro Brienza, Talking of Joyce , Dublin, University College Dublin Press, 1998.
108
eines älteren, c) ein Träger des niedrigsten akademischen
Grades und d) eine männliche Robbe, die in der Paarungs-
zeit noch kein Weibchen gefunden hat. Roman Jakobson
hat jedoch darauf hingewiesen, daß diese vier Homonyme
trotz ihrer Bedeutungsunterschiede einen gemeinsamen
Grundsinn von Unvollständigkeit oder zumindest Unfer-
tigkeit haben. Ein bachelor ist somit in jedem Fall einer, der noch nicht zur vollen Reife gelangt ist. Der junge
Mann ist noch kein Gatte und reifer Familienvater, der
Knappe ist noch nicht zum Ritter geschlagen, der BA ist
noch kein PhD, und die arme männliche Robbe hat noch
nicht die Freuden der Liebe entdeckt.
Zu der Zeit, als unser Jim das University College verließ,
war er noch ein unvollständiger Joyce, insofern er noch
nicht jene Werke geschrieben hatte, ohne die Joyce nur ein
arroganter Debütant geblieben wäre. Allerdings möchte
ich hier herausstellen, daß Jim am Ende seiner Studien
nicht so unfertig war, wie man glauben möchte, und daß es
gerade jene Jahre waren, in denen er mit seinen ersten
Schreibversuchen sehr klar die Richtungen eingeschlagen
hatte, die er dann in reifem Alter weiterverfolgen sollte.
Er hatte seine Studien 1898 damit begonnen, daß er
Englisch bei Pater O’Neill lernte, einem leidenschaftlichen
Parteigänger der Bacon-Shakespeare-Kontroverse, Italie-
nisch bei Pater Ghezzi und Französisch bei Edouard
Cadic. Es war die Epoche der neothomistischen Studien,
jener, die oft den kürzesten Weg zu einem Mißverständnis
des Aquinaten weisen, aber sicherlich hatte Jim im
College, noch vor den Aufzeichnungen im Pola und im
Paris Notebook , etwas von Thomas verstanden. Hatte er
doch zu Stanislaus gesagt, Thomas von Aquin sei ein sehr
komplexer Denker, denn was er sage, gleiche genau dem,
was die gewöhnlichen Leute sagen oder gern sagen
würden – und das heißt für mich, daß er sehr viel, wenn
109
nicht alles von der thomistischen Philosophie verstanden
hatte.
In seinem Vortrag Drama and Life , den er am 20. Januar 1900 vor der Literary and Historical Society des University College hielt, kündigte Joyce die Poetik der Dubliners an: »Dennoch glaube ich, daß der tristen Monotonie des
Daseins Teile vom Drama des Lebens abzugewinnen sind.
Auch der größte Gemeinplatz, auch der Abgestorbenste
unter den Lebenden kann eine Rolle in diesem großen
Drama spielen.«
In seinem Aufsatz Ibsen’s New Drama , den er am
1. April 1900 in der Fortnightly Review veröffentlichte, können wir jenen Grundgedanken der Unpersönlichkeit
des Künstlers erkennen, den wir im Portrait wiederfinden werden. Ibsen betrachte sein dramatisches Werk, schreibt
der 18jährige Joyce, »in
Weitere Kostenlose Bücher