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Die Bücher und das Paradies

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Titel: Die Bücher und das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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sie.
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    Jeder verheiratete Mann ist attraktiv, außer für seine eigene Frau, und oft, wie man hört, sogar für sie.
    Dandytum ist auf seine Weise ein Versuch, die absolute
    Modernität der Schönheit zu verfechten.
    Dandytum ist auf seine Weise ein Versuch, die absolute
    Inaktualität der Schönheit zu verfechten.
    Die Konversation müßte alles streifen, ohne sich je auf etwas zu konzentrieren.
    Die Konversation dürfte nichts streifen, um sich auf alles zu konzentrieren.
    Ich liebe es, über nichts zu sprechen. Es ist das einzige, worüber ich alles weiß.
    Ich liebe es, über alles zu sprechen. Es ist das einzige, worüber ich nichts weiß.
    Nur die großen Meister des Stils verstehen es, klar zu sein.
    Nur die großen Meister des Stils verstehen es, dunkel zu sein.
    Jeder kann teilhaben an der Geschichte. Nur ein großer Mann
    kann sie schreiben.
    Jeder kann Geschichte schreiben. Nur ein großer Mann kann an ihr teilhaben.
    Die Engländer haben mit den Amerikanern alles gemeinsam
    außer der Sprache.
    Die Engländer haben mit den Amerikanern nichts gemeinsam
    außer der Sprache.
    Nur die Modernen werden überholt.
    Nur die Überholten werden modern.
    Müßten wir hier unser Urteil über Wilde fällen, würde es
    ziemlich streng ausfallen. Als höchste Inkarnation des
    Dandytums, aber im Rückstand hinter Lord Brummel und
    sogar hinter seinem geliebten Des Esseintes, kümmert er
    sich nicht um die Unterscheidung zwischen Paradoxen als
    Trägern zugespitzter Wahrheiten, Aphorismen als Trägern
    akzeptabler Wahrheiten und kanzerisierbaren Aphorismen
    als bloß geistreichen Spielereien ohne Wahrheitsanspruch.
    Im übrigen würde sein Verhalten durch seine Vor-
    stellungen von der Kunst autorisiert, dürfte es doch ihnen
    zufolge bei einem Aphorismus niemals um Nützlichkeit,
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    Wahrheit oder Moralität gehen, sondern stets nur um
    stilistische Schönheit und Eleganz.
    Allerdings würde sein Bemühen um ästhetische
    Provokation und Stil nicht genügen, um Oscar Wilde
    freizusprechen, da es ihm nicht gelang, zwischen der
    echten Provokation durch das Paradox und der bloß
    oberflächlichen Provokation zu unterscheiden. Doch be-
    kanntlich hätte er, wäre es nach seinen Prinzipien ge-
    gangen, nicht ins Gefängnis gesteckt werden dürfen, weil
    er Lord Douglas liebte, sondern weil er ihm Briefe wie
    diesen geschrieben hatte: »Es ist ein Wunder, daß deine
    rosenroten Lippen nicht minder für die Musik des Ge-
    sanges als für die Tollheit der Küsse gemacht sind« – und
    nicht nur deshalb, sondern weil er während des Prozesses
    auch noch behauptet hatte, dieser Brief sei eine Stilübung
    und eine Art Sonett in Prosa gewesen.
    Das Bildnis des Dorian Gray wurde von den Londoner
    Richtern aus absolut törichten Gründen verurteilt, aber
    unter dem Gesichtspunkt der literarischen Originalität ist
    es bei allem Zauber, den es hat, nur eine Imitation von
    Balzacs Chagrinleder und eine weitgehende (auch indirekt eingestandene) Kopie von Huysmans’ Gegen den Strich .
    Mario Praz hat darauf hingewiesen, daß der Dorian Gray
    fast ebensoviel dem Monsieur de Phocas von Jean Lorrain verdankt, und sogar eine der Grundmaximen des Ästheten
    Wilde (»Kein Verbrechen ist vulgär, aber Vulgarität ist ein
    Verbrechen«) ist eine Übernahme von Baudelaires »Ein
    Dandy kann niemals ein vulgärer Mensch sein: Wenn er
    ein Delikt beginge, würde er nichts von seiner Reputation
    verlieren; wenn aber diesem Delikt ein banales Motiv
    unterläge, dann wäre die Schande irreparabel«.
    Gleichwohl ist es mühsam, wie Alex Falzon in der
    erwähnten italienischen Aphorismen-Ausgabe schreibt,
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    die Aphorismen eines Autors zu sammeln, der nie ein
    eigenes Aphorismenbuch geschrieben hat – denn die Sätze
    und Sprüche, die wir als solche betrachten, sind ja nicht
    isoliert entstanden, um außerhalb jedes Kontexts zu glän-
    zen, sondern in narrativen oder szenischen Umgebungen
    und folglich als Aussprüche von bestimmten Personen
    unter bestimmten Umständen. Kann man zum Beispiel
    einen Aphorismus als schwach bezeichnen, den der Autor
    einer bewußt als seicht dargestellten Figur in den Mund
    legt? Ist es ein Aphorismus, wenn Lady Bracknell in The
    Importance of Being Earnest zu Algernon sagt: »Den
    Vater oder die Mutter zu verlieren kann als bedauerlicher
    Unglücksfall gelten. Beide zu verlieren, grenzt schon an
    Schlamperei«? Daher der begründete Verdacht, daß Wilde
    an keinen seiner Aphorismen glaubte und nicht einmal

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