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Die Bücher und das Paradies

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Titel: Die Bücher und das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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bei kurzem Nachdenken zeigt, unmöglich ist.
    Sie sind allesamt Träger einer unkonventionellen, gegen
    die gängige Meinung gerichteten Wahrheit. Sie lassen sich
    nicht zum Ausdruck der gegenteiligen Wahrheit
    verbiegen.
    Der Skandal fängt an, wenn die Polizei ihm ein Ende macht.
    Zur Vollkommenheit fehlte ihr nur ein Mangel.
    Das Virginitätsideal ist das Ideal jener, die entjungfern wollen.
    Die Unzucht mit Tieren ist verboten, das Schlachten von Tieren ist erlaubt.
    Aber hat man noch nie bedacht, daß es ein Lustmord sein
    könnte?
    Die Strafen dienen zur Abschreckung derer, die keine Sünden
    begehen wollen.
    Es gibt einen dunklen Weltteil, der Entdecker aussendet.
    Kinder spielen Soldaten. Das ist sinnvoll. Warum aber spielen
    Soldaten Kinder?
    Die Irrsinnigen werden von den Psychiatern allemal daran
    erkannt, daß sie nach der Internierung ein aufgeregtes Benehmen zur Schau tragen.
    Natürlich ist auch Karl Kraus nicht gegen die Sünde des
    kanzerisierbaren Aphorismus gefeit; hier einige seiner
    Sprüche, die leicht widerlegt und folglich umgedreht
    werden können (die kursiven Umkehrungen sind natur-
    gemäß von mir):
    Nichts ist unergründlicher als die Oberflächlichkeit des Weibes.
    Nichts ist oberflächlicher als die Unergründlichkeit des Weibes.
    Lieber ein häßlicher Fuß verziehen als ein häßlicher Strumpf!
    Lieber ein häßlicher Strumpf verziehen als ein häßlicher Fuß!
    Es gibt Frauen, die nicht schön sind, sondern nur so aussehen.
    Es gibt Frauen, die schön sind, aber nicht so aussehen.
    93
    Der Übermensch ist ein verfrühtes Ideal, das den Menschen
    voraussetzt.
    Der Mensch ist ein verfrühtes Ideal, das den Übermenschen
    voraussetzt.
    Das Vollweib betrügt, um zu genießen. Das andere genießt, um
    zu betrügen.
    Das Vollweib genießt, um zu betrügen. Das andere betrügt, um zu genießen.
    Die einzigen Paradoxe, die sich fast niemals
    kanzerisieren lassen, sind die von Stanisław Jerzy Lec.
    Hier eine kurze Liste seiner Unfrisierten Gedanken :4
    Könnte man den Tod doch abzahlen, indem man ihn in Raten
    schliefe!
    Ich habe von der Wirklichkeit geträumt. Welche Erleichterung,
    zu erwachen!
    Sesam öffne dich – ich möchte hinaus!
    Wer weiß, was Kolumbus entdeckt hätte, wenn ihm Amerika
    nicht in die Quere gekommen wäre!
    Wie schrecklich: ein mit Honig beschmierter Knebel.
    Der Krebs errötet nach seinem Tod. Was für ein beispielhaftes
    Feingefühl bei einem Opfer!
    Schont die Sockel, wenn ihr die Denkmäler stürzt. Sie könnten
    noch gebraucht werden.
    Er hat die Wissenschaft besessen, aber nicht geschwängert.
    Scheiterhaufen erleuchten die Finsternis nicht.
    Man kann auf St. Helena sterben, ohne Napoleon gewesen zu
    sein.
    Sie standen sich so nah, daß es zwischen ihnen keinen Platz
    mehr für Gefühle gab.
    Er streute Asche auf sein Haupt – die seiner Opfer.
    Ich habe von Freud geträumt. Was bedeutet das?
    Umgang mit Zwergen krümmt das Rückgrat.
    Sein Gewissen war rein. Er benutzte es nie.
    Sogar in seinem Schweigen gab es Sprachfehler.

    4 Zitiert nach der italienischen Ausgabe Pensieri spettinati , Mailand, Bompiani, 1984 [dt. Alle unfrisierten Gedanken , hrsg. von Karl Dedecius, Hanser 1982, A. d. Ü.].
    94
    Ich gebe zu, ich habe eine Schwäche für Lee, aber bisher
    konnte ich nur einen einzigen Aphorismus bei ihm finden,
    der sich umkehren läßt:
    Überlege, bevor du denkst.
    Denke , bevor du überlegst.
    Kommen wir nun zu Oscar Wilde. Angesichts der
    unzähligen Aphorismen, die er in seine Werke eingestreut
    hat, müßten wir zugeben, daß wir es mit einem dandyhaft
    seichten, auf oberflächliche Reize erpichten Autor zu tun
    haben, der, solange er nur den braven Bürger erschreckt,
    nicht zwischen Aphorismus, kanzerisierbarem Aphoris-
    mus und Paradox unterscheidet. Ja, er traut sich sogar, uns
    Behauptungen als scharfsinnige Aphorismen vorzusetzen,
    die sich unter der witzigen Oberfläche als triviale
    Gemeinplätze entpuppen – jedenfalls als Gemeinplätze für
    die viktorianische Oberschicht.
    Auch hier jedoch läßt uns ein Experiment dieser Art
    erkennen, ob und inwieweit ein Autor, der die
    aphoristische Provokation zum Salz seiner Romane,
    Komödien und Essays gemacht hat, tatsächlich ein
    Schöpfer fulminanter Paradoxe war oder bloß ein begabter
    Bonmot-Sammler. Natürlich ist mein Experiment nur eine
    erste Geländeerkundung und zielt darauf ab, zu einer
    Magister- oder, warum nicht, Doktorarbeit zu ermuntern,
    die das ganze Feld systematisch

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