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Die Bücher und das Paradies

Die Bücher und das Paradies

Titel: Die Bücher und das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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wiedergelesen,
    scheint das eine sehr borgesianische Geschichte zu sein,
    aber es ist klar, daß ich als Zehnjähriger noch nicht Borges
    gelesen haben konnte (in einer fremden Sprache).
    Ebensowenig konnte ich die Utopien des 16., 17. oder
    18.
    Jahrhunderts über ideale Gemeinschaften kennen.
    Aber ich hatte viele Abenteuerbücher gelesen, natürlich
    auch Märchen und sogar eine für Kinder eingerichtete
    Fassung von Gargantua und Pantagruel , und wer weiß, was für chemische Verbindungen sich in meiner Phantasie
    gebildet hatten.
    Der Zeitgeist kann sogar an Umkehrungen des Zeitpfeils
    denken lassen. Ich erinnere mich, daß ich mit sechzehn
    Jahren (also etwa 1948) kleine Erzählungen über Planeten
    geschrieben hatte: Geschichten, deren Protagonisten die
    Erde oder der Mond waren oder Venus, die sich in die
    Sonne verliebte, und dergleichen. Es waren auf ihre Weise
    Cosmicomics . Ich amüsiere mich manchmal bei dem
    Gedanken, wie Calvino es angestellt haben mag, viele
    Jahre später in mein Haus einzubrechen und diese meine
    Jugendschriften zu finden. Natürlich scherze ich, aber ich
    will damit sagen, daß man manchmal an den Zeitgeist
    glauben muß. In jedem Fall, Sie werden’s nicht glauben,
    sind Calvinos Cosmicomics besser als meine.
    Schließlich gibt es Themen, die vielen Autoren
    gemeinsam sind, weil sie gewissermaßen direkt aus der
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    Wirklichkeit kommen. Ich erinnere mich zum Beispiel,
    wie viele Leute nach dem Erscheinen des Namens der
    Rose andere Bücher fanden, in denen eine Abtei in
    Flammen aufging, von denen ich viele niemals gelesen
    hatte. Und niemand hat bedacht, daß es im Mittelalter
    erste Pflicht der Abteien wie auch der Kathedralen war, in
    Flammen aufzugehen.
    Ohne mich allzu streng an mein Schema zu halten,
    möchte ich nun versuchen, meine Triade der Intentionen –
    intentio auctoris, intentio operis, intentio lectoris 3 – um die intentio intertextualitatis zu erweitern, die in diesem Zusammenhang eine gewisse Rolle spielen müßte.
    Erlauben Sie mir, erneut in ungeordneter Weise über drei
    Arten von Beziehung zu Borges zu reflektieren: die Fälle,
    in denen ich mir seines Einflusses sehr bewußt war, die
    Fälle, ich denen ich mir seines Einflusses nicht bewußt
    war, aber dann von den Lesern (darunter von Ihnen wäh-
    rend dieser Tage) gezwungen wurde, einen unbewußten
    Einfluß anzuerkennen, und c) die Fälle, in denen man,
    wenn man nicht per Dreieck auf frühere Quellen und das
    Universum der Intertextualität zurückgeht, dazu verleitet
    werden kann, etwas für eine bipolare oder direkte

Beeinflussung zu halten, was in Wirklichkeit eine tripolare
    oder mittelbare Beeinflussung ist und die Schulden
    betrifft, die Borges beim Universum der Kultur hatte, so
    daß man nicht Borges zuschreiben kann, was er immer
    stolz als seine Entnahmen aus der allgemeinen Kultur
    deklariert hatte. Nicht zufällig haben wir ihn ja gestern
    einen »deliranten Archivar« genannt, und Borges’
    Delirium kann es nicht ohne das Archiv geben, an und in

    3 Autor-, Werk- und Leser-Intention, vgl. Ecos Untersuchung Die Grenzen der Interpretation , Hanser 1992, S. 35 ff. (A. d. Ü.).
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    dem er gearbeitet hat. Ich glaube, wenn man zu ihm gesagt
    hätte: »Das-und-das hast du erfunden«, hätte er
    geantwortet: »Nein, nein! Das war schon vorher da.« Und
    er hätte sich stolz jenen Satz von Pascal zu eigen gemacht,
    den ich als Motto meinem Trattato di semiotica generale 4
    vorangestellt habe: »Man sage nicht, ich hätte nichts
    Neues gesagt: Die Anordnung des Stoffes ist neu.«
    Dies sage ich nicht, um meine Schulden zu verleugnen,
    die zahlreich sind, sondern um Sie und uns auf ein Prinzip
    zurückzuführen, das meiner Ansicht nach grundlegend ist,
    sowohl für alle, die an diesem Kongreß teilgenommen
    haben, ganz sicher für mich, als auch ohne Zweifel für
    Borges: Das Wichtigste ist, daß die Bücher miteinander
    sprechen.
    1955 kamen die Ficciones in Italien unter dem Titel La biblioteca di Babele bei Einaudi heraus. Das Buch war dem Verlag von Sergio Solmi vorgeschlagen worden,
    einem großen Dichter, den ich sehr mochte, auch wegen
    eines Essays über Science-fiction als Modalität des
    Phantastischen, den er einige Jahre zuvor geschrieben
    hatte. Hier können Sie sehen, wie der Zeitgeist spielt:
    Solmi entdeckt Borges, während er nordamerikanische
    Science-fiction-Autoren liest, die (womöglich ohne sich
    dessen bewußt zu sein) in der Tradition des utopischen
    Erzählens

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