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Die Bücher und das Paradies

Die Bücher und das Paradies

Titel: Die Bücher und das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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schrieb, lag es auf der Hand, daß ich beim Bau der Bibliothek an Borges dachte.
    Wenn Sie meinen Artikel »Codice« in der Enciclopedia
    Einaudi lesen, werden Sie sehen, daß ich darin unter
    anderem ein Experiment mit der Bibliothek von Babel
    mache. Nun, dieser Artikel ist 1976 geschrieben worden,
    zwei Jahre bevor ich den Namen der Rose zu schreiben
    begann, woran Sie sehen, daß mir Borges’ Bibliothek
    schon seit langem im Kopf herumging. Als ich dann den
    Roman zu schreiben begann, kam sie mir ganz natürlich
    wieder in den Sinn und mit ihr die Idee eines blinden
    Bibliothekars, den ich Jorge von Burgos zu nennen
    beschloß. Ich weiß nicht mehr, ob ich mich dann wegen
    dieses Beschlusses über die Geschichte von Burgos
    informierte, oder ob ich schon vorher gewußt hatte, daß
    dort das pergamino de pano hergestellt worden war, das heißt das erste Papier anstelle von Pergament. Manchmal
    gehen die Dinge sehr schnell, man liest da und dort etwas
    und erinnert sich dann nicht mehr, was zuerst gekommen
    war.
    Später haben mich alle gefragt, warum Jorge der »Böse«
    in meiner Geschichte wird, und meine einzige Antwort
    war und ist, daß ich zu der Zeit, als ich meinem
    Bibliothekar diesen Namen gab, noch nicht wußte, was er
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    tun würde (und genauso war es dann auch bei meinen
    anderen Romanen, weshalb der von vielen gemachte
    Versuch, präzise Anspielungen auf diesen oder jenen zu
    finden, in der Regel nur Zeitverschwendung ist). Dennoch
    will ich nicht ausschließen, daß ich in dem Moment, da
    mir der Geist von Borges erschien, vom Verlauf der
    Erzählung »Der Tod und der Kompaß« beeinflußt war, die
    mich zweifellos sehr beeindruckt hatte.
    Aber sehen Sie, wie kurios das Spiel der Einflüsse ist:
    Wenn mich jemand nach meinem Vorbild gefragt hätte,
    als ich die Szene der wechselseitigen Verführung
    zwischen Jorge und William entwarf, hätte ich gesagt, ich
    hätte dabei an Proust gedacht, und zwar an die Szene, in
    der Charlus versucht, Jupien zu verführen, und durch die
    Metapher einer um die Blume schwirrenden Biene
    beschrieben wird.
    Im übrigen hatte ich auch noch andere Vorbilder. Von
    zentraler Bedeutung war für mich zum Beispiel das
    Modell des Doktor Faustus , denn die Art, wie Adson als Greis die Geschichte wiedererlebt, indem er erzählt, wie er
    sie als Jüngling empfunden hat, war in gewisser Weise die
    gleiche, in der Serenus Zeitblom auf die Geschichte
    Adrian Leverkühns zurückblickt. Ein schönes Beispiel für
    übersehenen Einfluß, denn kaum ein Kritiker hat das
    Modell des Doktor Faustus erkannt, und viele haben statt dessen eine Anspielung auf die Dialoge zwischen Naphta
    und Settembrini im Zauberberg gesehen.
    Um weitere Beispiele zu nennen: Es hat mich gefreut,
    als vorgestern jemand den möglichen Einfluß von
    Bouvard et Pécuchet auf das Foucaultsche Pendel
    angesprochen hat. Tatsächlich hatte ich beim Schreiben
    dieses Romans oft an jenes Buch gedacht und mir
    vorgenommen, es einmal wiederzulesen, aber dann habe
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    ich darauf verzichtet, denn ich wollte in gewisser Weise
    sein Pierre Menard sein.
    Ein umgekehrter Fall war meine Begegnung mit den
    Rosenkreuzern, die bestimmend für die Struktur des
    Foucaultschen Pendels war. Seit meiner Schulzeit hatte ich mir eine kleine Sammlung von Werken über okkulte
    Wissenschaften angelegt, eines Tages fiel mir ein absolut
    idiotisches Buch über die Rosenkreuzer in die Hände, und
    da kam mir die Idee, eine Art Bouvard et Pécuchet der okkultistischen Idiotien zu schreiben. Von nun an
    sammelte ich einerseits minderwertige Texte von
    Okkultisten und andererseits zuverlässige historio-
    graphische Literatur über die Rosenkreuzer. Erst als der
    Roman schon relativ weit gediehen war, kam mir die
    Erzählung »Tlön, Uqbar, Orbis Tertius« wieder unter die
    Augen, in der Borges von den Rosenkreuzern spricht –
    und zwar, wie oft bei ihm, indem er Informationen aus
    zweiter Hand zitiert (in diesem Fall von De Quincey) und
    trotzdem alles besser versteht als viele Gelehrte, die dem
    Thema ihr ganzes Leben gewidmet haben.
    Im Zuge dieser Recherchen hatte ich ein vergriffenes
    Buch wiedergefunden: die Rosenkreuzer-Monographie
    von Paul Arnold. Als dann das Pendel erschienen war,
    empfahl ich meinem Verlag, sie ins Italienische übersetzen
    zu lassen; gleich darauf entschloß sich der französische
    Verlag zu einem Neudruck und bat mich um ein Vorwort,
    und erst in diesem Vorwort beziehe ich mich, diesmal
    bewußt, auf Borges

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