Die Bücher und das Paradies
schrieb, lag es auf der Hand, daß ich beim Bau der Bibliothek an Borges dachte.
Wenn Sie meinen Artikel »Codice« in der Enciclopedia
Einaudi lesen, werden Sie sehen, daß ich darin unter
anderem ein Experiment mit der Bibliothek von Babel
mache. Nun, dieser Artikel ist 1976 geschrieben worden,
zwei Jahre bevor ich den Namen der Rose zu schreiben
begann, woran Sie sehen, daß mir Borges’ Bibliothek
schon seit langem im Kopf herumging. Als ich dann den
Roman zu schreiben begann, kam sie mir ganz natürlich
wieder in den Sinn und mit ihr die Idee eines blinden
Bibliothekars, den ich Jorge von Burgos zu nennen
beschloß. Ich weiß nicht mehr, ob ich mich dann wegen
dieses Beschlusses über die Geschichte von Burgos
informierte, oder ob ich schon vorher gewußt hatte, daß
dort das pergamino de pano hergestellt worden war, das heißt das erste Papier anstelle von Pergament. Manchmal
gehen die Dinge sehr schnell, man liest da und dort etwas
und erinnert sich dann nicht mehr, was zuerst gekommen
war.
Später haben mich alle gefragt, warum Jorge der »Böse«
in meiner Geschichte wird, und meine einzige Antwort
war und ist, daß ich zu der Zeit, als ich meinem
Bibliothekar diesen Namen gab, noch nicht wußte, was er
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tun würde (und genauso war es dann auch bei meinen
anderen Romanen, weshalb der von vielen gemachte
Versuch, präzise Anspielungen auf diesen oder jenen zu
finden, in der Regel nur Zeitverschwendung ist). Dennoch
will ich nicht ausschließen, daß ich in dem Moment, da
mir der Geist von Borges erschien, vom Verlauf der
Erzählung »Der Tod und der Kompaß« beeinflußt war, die
mich zweifellos sehr beeindruckt hatte.
Aber sehen Sie, wie kurios das Spiel der Einflüsse ist:
Wenn mich jemand nach meinem Vorbild gefragt hätte,
als ich die Szene der wechselseitigen Verführung
zwischen Jorge und William entwarf, hätte ich gesagt, ich
hätte dabei an Proust gedacht, und zwar an die Szene, in
der Charlus versucht, Jupien zu verführen, und durch die
Metapher einer um die Blume schwirrenden Biene
beschrieben wird.
Im übrigen hatte ich auch noch andere Vorbilder. Von
zentraler Bedeutung war für mich zum Beispiel das
Modell des Doktor Faustus , denn die Art, wie Adson als Greis die Geschichte wiedererlebt, indem er erzählt, wie er
sie als Jüngling empfunden hat, war in gewisser Weise die
gleiche, in der Serenus Zeitblom auf die Geschichte
Adrian Leverkühns zurückblickt. Ein schönes Beispiel für
übersehenen Einfluß, denn kaum ein Kritiker hat das
Modell des Doktor Faustus erkannt, und viele haben statt dessen eine Anspielung auf die Dialoge zwischen Naphta
und Settembrini im Zauberberg gesehen.
Um weitere Beispiele zu nennen: Es hat mich gefreut,
als vorgestern jemand den möglichen Einfluß von
Bouvard et Pécuchet auf das Foucaultsche Pendel
angesprochen hat. Tatsächlich hatte ich beim Schreiben
dieses Romans oft an jenes Buch gedacht und mir
vorgenommen, es einmal wiederzulesen, aber dann habe
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ich darauf verzichtet, denn ich wollte in gewisser Weise
sein Pierre Menard sein.
Ein umgekehrter Fall war meine Begegnung mit den
Rosenkreuzern, die bestimmend für die Struktur des
Foucaultschen Pendels war. Seit meiner Schulzeit hatte ich mir eine kleine Sammlung von Werken über okkulte
Wissenschaften angelegt, eines Tages fiel mir ein absolut
idiotisches Buch über die Rosenkreuzer in die Hände, und
da kam mir die Idee, eine Art Bouvard et Pécuchet der okkultistischen Idiotien zu schreiben. Von nun an
sammelte ich einerseits minderwertige Texte von
Okkultisten und andererseits zuverlässige historio-
graphische Literatur über die Rosenkreuzer. Erst als der
Roman schon relativ weit gediehen war, kam mir die
Erzählung »Tlön, Uqbar, Orbis Tertius« wieder unter die
Augen, in der Borges von den Rosenkreuzern spricht –
und zwar, wie oft bei ihm, indem er Informationen aus
zweiter Hand zitiert (in diesem Fall von De Quincey) und
trotzdem alles besser versteht als viele Gelehrte, die dem
Thema ihr ganzes Leben gewidmet haben.
Im Zuge dieser Recherchen hatte ich ein vergriffenes
Buch wiedergefunden: die Rosenkreuzer-Monographie
von Paul Arnold. Als dann das Pendel erschienen war,
empfahl ich meinem Verlag, sie ins Italienische übersetzen
zu lassen; gleich darauf entschloß sich der französische
Verlag zu einem Neudruck und bat mich um ein Vorwort,
und erst in diesem Vorwort beziehe ich mich, diesmal
bewußt, auf Borges
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