Die Bücher und das Paradies
Mann zerlegen in
»männliches menschliches Wesen« und das Signifikat
Rose in »Blume mit fleischigen Blättern«, man kann Ideen miteinander verketten, um andere Ideen zu interpretieren,
aber man kann nicht darunter gehen.
Wir könnten sagen, die Arbeit am Signifikanten operiert
auf der subatomischen Ebene, die an den Signifikaten mit
nicht weiter zerlegbaren Atomen, um sie zu neuen
Molekülen zu kombinieren.
Borges hat diese zweite Wahl getroffen, die nicht
diejenige von Joyce war, aber ebenso rigoros und absolut,
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und hat sie ebenso bis an die Grenzen des Möglichen und
Denkbaren getrieben. Und dafür hat er sich Lehrer
gesucht, die er auch nennt (und hier zeigt sich, daß die
scheinbar ausgefallenen Namen, die ich vorhin zitiert
habe, nicht ungerechtfertigt waren). Einer davon war
Raimundus Lullus mit seiner Ars Magna , in der Borges zu Recht den Vorläufer der modernen Computerwissenschaft
sah. Der andere, weniger bekannte, war der englische
Bischof John Wilkins, der in seinem Essay towards a Real
Character von 1668 jene vollkommene Sprache zu
realisieren versuchte, die Mersenne, Guldin und anderen
Autoren seines Jahrhunderts vorschwebte, nur daß Wilkins
nicht Buchstaben ohne Bedeutung kombinieren wollte, um
jedem Individuum einen Namen zuzuweisen, sondern er
wollte das kombinieren, was er und andere real
characters , »reale Buchstaben« na nnten, Schriftzeichen nach Art der chinesischen Ideogramme, in denen jedes
elementare Zeichen einer Idee entspricht, so daß, wenn
man diese Zeichen kombinierte, um die Dinge zu
benennen, in dem solcherart entstandenen Namen das
Wesen des Benannten zum Vorschein kommen sollte.
Das Projekt konnte nicht funktionieren, und das habe ich
in meinem Buch Die Suche nach der vollkommenen
Sprache 6 zu erklären versucht. Aber das Umwerfende an der Geschichte ist, daß Borges nicht Wilkins selbst
gelesen, sondern bloß Informationen aus zweiter Hand
durch die Encyclopaedia Britannica und einige andere
Bücher bekommen hatte, wie er in seinem Essay »Die
analytische Sprache von John Wilkins« ( Otras
Inquisitiones 7) bekennt, aber daß er trotzdem in der Lage 6 München, C. H. Beck, 1994, 3. rev. Aufl. 1995 (A. d. Ü.).
7 Dt. Inquisitionen , Werke in 20 Bänden, Bd. 7, Hanser 1992
(A. d. Ü.).
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war, den Kern seines Denkens besser zu resümieren und
die Schwächen seines Projekts besser zu erkennen als
viele andere Forscher, die ihr Leben damit verbrachten,
den enormen Folianten von 1668 zu studieren. Mehr noch,
bei seiner Beschäftigung mit Wilkins’ Ideen bemerkte
Borges auch einige Gemeinsamkeiten zwischen ihm und
anderen Denkern des 17.
Jahrhunderts, die sich das
Problem der Buchstabenkombinatorik gestellt hatten.
Aus seiner Beschäftigung mit anderen Universal- und
Geheimsprachen wußte Borges sehr gut, daß Wilkins’
Projekt unmöglich war, denn es setzte eine kritische
Sichtung aller Gegenstände der Welt und der Ideen, auf
die sie verweisen, sowie ein einheitliches Ordnungs-
kriterium unserer Ideen-Atome voraus. Und das ist es,
woran sämtliche Utopisten scheitern, die nach einer
Universalsprache streben. Aber sehen wir uns an, welchen
Schluß Borges aus dieser Überlegung zieht.
Nachdem er einmal erkannt und festgestellt hat, daß es
niemals möglich sein wird, zu einer einheitlichen
Klassifikation des Universums zu gelangen, wendet sich
Borges fasziniert dem genau entgegengesetzten Projekt zu:
dem Niederreißen und Vervielfältigen der Klassifika-
tionen. Es ist gerade sein Essay über Wilkins, der das
berühmte Zitat jener unwahrscheinlichen chinesischen
Enzyklopädie enthält ( Himmlischer Wortschatz wohl-
tätiger Erkenntnisse : Tiere sind einzuteilen in a) dem Kaiser gehörende, b) einbalsamierte, c) gezähmte, d) Milch-
schweine, e) Sirenen usw.), in der wir das bewunderns-
werte Modell einer vollkommen inkongruenten und
kriterienlosen Klassifizierung finden (das dann auch
Michel Foucault am Anfang seiner Ordnung der Dinge
inspirieren sollte).
Die Folgerung, die Borges nun aus dem Scheitern aller
Klassifizierungsbemühungen zieht, lautet: Wir wissen
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nicht, was das Universum ist. Ja, er sagt sogar, »man darf
vermuten, daß es kein Universum im organischen,
vereinigenden Sinne dieses anspruchsvollen Wortes gibt«.
Doch gleich darauf bemerkt er:
»Die Unmöglichkeit, in das göttliche Schema des
Universums einzudringen, kann uns gleichwohl nicht
davon abbringen, menschliche
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