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Die Bücher und das Paradies

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Titel: Die Bücher und das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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und beginne genau mit »Tlön, Uqbar,
    Orbis Tertius«.6

    6 Paul
    Arnold,
    Histoire des Rose-Croix , Paris, Mercure de France,
    1955, Neudruck 1990 mit einem Vorwort von Umberto Eco
    (A. d. Ü.).
    161
    Wer könnte jedoch verneinen, daß sich, seit ich viele
    Jahre zuvor die Erzählung gelesen hatte, das Wort
    Rosenkreuzer in einer entlegenen Zone meines Gehirns
    eingenistet hatte, von wo es Jahrzehnte später, als ich das
    Buch des idiotischen Rosenkreuzers las, auch dank einer
    Erinnerung an Borges wieder aufgetaucht ist?
    In diesen Tagen bin ich eher darauf gebracht worden,
    mich zu fragen, wie stark mich das »Modell Menard«
    beeinflußt haben mag. Ich habe diese Erzählung nie
    aufgehört zu zitieren, seit ich sie das erste Mal gelesen
    hatte. Inwiefern hat sie meine Art zu schreiben beeinflußt?
    Nun, ich würde sagen, der wahre borgesianische Einfluß
    auf den Namen der Rose liegt nicht darin, daß ich eine labyrinthische Bibliothek ersonnen habe, denn von
    Labyrinthen ist die Welt voll seit den Zeiten von Knossos
    und die Theoretiker der Postmoderne betrachten das
    Labyrinth als ein wiederkehrendes Motiv in fast der
    gesamten zeitgenössischen Literatur. Er liegt vielmehr
    darin, daß ich wußte, während ich eine mittelalterliche
    Geschichte nacherzählte, daß meine Nacherzählung, so
    treu sie auch sein mochte, in den Augen meiner
    Zeitgenossen andere als mittelalterliche Bedeutungen
    annehmen würde. Ich wußte, daß wenn ich erzählte, was
    im 14. Jahrhundert tatsächlich mit den Fratizellen und Fra
    Dolcino geschehen war, meine Leser unweigerlich (auch
    wenn ich es nicht wollte) darin fast wörtliche Bezug-
    nahmen auf die Roten Brigaden sehen würden – und es hat
    mich dann sehr amüsiert zu entdecken, daß die Lebens-
    gefährtin von Fra Dolcino Margherita hieß, genau wie die
    Lebensgefährtin des Rote-Brigaden-Gründers Renato
    Curcio. Das Modell Menard funktionierte, und zwar bei
    vollem Bewußtsein, denn ich wußte, als ich den Namen
    der Gefährtin Fra Dolcinos hinschrieb, daß die Leser
    162
    denken würden, ich hätte an die Gefährtin von Curcio
    gedacht.
    Nach dem »Modell Menard« möchte ich nun über das
    »Modell Averroes« sprechen. Die Erzählung von Averroes
    und dem Theater7 ist ebenfalls eine von denen, die mich
    immer fasziniert haben. So geht der einzige Aufsatz über
    Semiotik des Theaters, den ich jemals geschrieben habe,
    genau von dieser Erzählung aus.8 Was ist das Außer-
    ordentliche an ihr? Es ist die Tatsache, daß der von Borges
    geschilderte Averroes dumm ist, nicht persönlich, sondern
    kulturell dumm, denn er hat die Wirklichkeit vor Augen
    (die spielenden Kinder) und ist unfähig, sie in eine
    Beziehung zu dem bringen, was er in einem Buch liest.
    Nebenbei gesagt, in diesen Tagen ist mir der Gedanke
    gekommen, daß die Situation von Averroes, auf die Spitze
    getrieben, jener Poetik der Verfremdung gleicht, von der die russischen Formalisten gesprochen haben: der
    Methode, etwas so zu beschreiben, als ob man es zum
    ersten Mal sähe, so daß es dem Leser wie etwas Fremdes
    erscheint und er es nicht gleich erkennt. Man könnte nun
    sagen, in meinen Romanen drehe ich das »Modell
    Averroes« um: Der (kulturell dumme) Erzähler beschreibt
    häufig etwas, das er voller Staunen erblickt, ohne viel
    davon zu begreifen, während der Leser dazu gebracht
    wird, es zu verstehen. Mit anderen Worten, ich arbeite, um
    einen intelligenten Averroes zu erzeugen.
    Mag sein, daß dies, wie manche gesagt haben, einer der
    Gründe für die Beliebtheit meiner Romane ist: Ich betreibe
    das Gegenteil von Verfremdung, ich mache den Leser

    7 »Averroes auf der Suche«, in Das Aleph , Ges. Werke 3/II (A. d. Ü.).
    8 »Das Zeichen im Theater«, in Über Spiegel und andere
    Phänomene , Hanser 1985.
    163
    vertraut mit Dingen, die er noch nicht gekannt hat. Ich
    führe gewissermaßen einen Leser aus Texas, der noch nie
    in Europa war, in eine mittelalterliche Abtei (oder eine
    Templerburg oder ein Museum voll komplizierter Geräte
    oder einen barocken Salon) und lasse ihn sich darin wohl
    fühlen. Ich zeige einen mittelalterlichen Mönch, der mit
    größter Selbstverständlichkeit seine Brille aus der Kutte
    zieht, und schildere das Erstaunen seiner Zeitgenossen; der
    Leser versteht im ersten Moment nicht, warum sie
    staunen, aber dann begreift er, daß die Brille damals
    gerade erst erfunden worden ist, also noch ganz neu war.
    Dies ist kein Verfahren nach dem Vorbild von Borges,
    meine

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