Die Bücher und das Paradies
Naturtheater, ausgebreitet vor unseren Augen, unter dem allegorischen Schleier einer
verborgenen Bedeutung.
Es ist gerade die Faszination der verborgenen Bedeu-
tungen des Hieroglyphischen, derentwegen sich Kircher so
um die altägyptische Schrift bemüht, im Gegensatz zu den
schlichten und eindeutig kodifizierten Schriftzeichen der
Chinesen, bei denen jedes Ideogramm einer präzisen Idee
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entspricht (was Francis Bacon faszinieren mochte, nicht
aber ihn). Die ägyptischen Symbole »involvierten ideale
Gesamtbegriffe« ( integros conceptos ideales involvebant ), und mit involvere meinte Kircher nicht umfassen und
darbieten, sondern einhüllen und verbergen. Die Ikonen
der Ägypter müssen für ihn so etwas wie verführerische
Kokotten gewesen sein, die ihre Verehrer fortwährend in
den Strudel einer unbefriedigten Erkenntnisleidenschaft
zogen, ohne sich ihnen jemals hinzugeben.
Doch was tut Kircher nach diesen einleitenden Worten,
über Tausende von Seiten in mindestens drei ver-
schiedenen Werken? Er versucht sich an einer Ent-
zifferung der Hieroglyphen, er legt seinen Ehrgeiz als
Ägyptologe darein, uns zu enthüllen, welchen verborgenen
Sinn jene Zeichen hatten, er übersetzt und ist überzeugt, in
der einzig richtigen Weise zu übersetzen. Er irrt sich, wie
wir heute wissen, aber es sind seine Absichten und nicht
seine Resultate, über die wir hier zu urteilen haben.
Champollion, der sich weniger irren sollte, vollführt
letzten Endes die gleiche Operation wie Kircher, wenn
auch in säkularerem Geist: Er sagt uns, daß es sich bei den
Hieroglyphen um Zeichen handelt, um konventionelle
Zeichen, die einen phonetischen Wert besaßen, er nimmt
den Symbolen jede Ambiguität. Aber das hatte schon
Kircher zu tun begonnen. Diejenigen, die später versuchen
werden, weniger katholisch und weniger theologisch als
er, diesen Hieroglyphen ein gewisses Maß an ungelöstem
Geheimnis zu bewahren, verwandeln sie in Partei-
abzeichen eines Okkultismus der billigen Sorte und sind in
Wahrheit nicht fasziniert von ihrer Unergründlichkeit,
sondern von der Sicherheit, die sie verleihen, als die
rigiden Embleme, zu denen sie nunmehr geworden sind,
daß es irgendwo noch ein Geheimnis gibt. Ein Geheimnis,
das niemals enthüllt werden wird, nicht weil es uner-
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gründlich ist, sondern weil seine Verwalter beschlossen
haben, es nicht zu ergründen, um es als Markenzeichen
und Glücksversprechen an die Sammler des Absoluten
oder die Stammkunden des freimaurerischen Grand
Guignol verkaufen zu können.
Unsere Vorstellung vom Symbolischen radikalisert sich
erst in einem säkularisierten Universum, in dem das, was
das Symbol verhüllen und verbergen soll, nicht mehr das
Absolute der Religionen ist, sondern das Absolute der
Poesie. Wenn wir heute von Symbol sprechen, tun wir das,
weil es den französischen Symbolismus gegeben hat, als
dessen Manifest man Baudelaires Correspondances
betrachten kann: Die Natur ist ein Tempel, aus dessen
lebendigen Pfeilern manchmal wirre Worte dringen,
comme de longs échos qui de loin se confondent / dans
une ténébreuse et profonde unité / vaste comme la nuit et
comme la clarté .5
Erst jetzt kann man mit Mallarmé une fleur sagen und
dabei unentschieden lassen, was das Wort evozieren soll,
denn am Ende ist es gerade die vielsagende Abwesenheit
aller Blumenpracht, und somit ist alles nichts, und wir
können uns nur bestürzt in alle Ewigkeit fragen, was das
sein mag, le vierge, le vivace et le bei aujourd’bui.
Doch an diesem Punkt gibt es keine Objekte mehr, seien
sie Embleme, mysteriöse Figuren oder einzelne Wörter,
5 Les fleurs du mal , IV, in der Prosaübersetzung von Friedhelm Kemp: »Wie langer Hall und Widerhall, die fern vernommen in
eine finstere und tiefe Einheit schmelzen«, in Charles Baudelaire, Sämtliche Werke, hrsg. v. Friedhelm Kemp und Claude Pichois,
München, Heimeran 1975, Neudruck Hanser 1989, Bd. 3, S. 69;
eine Auswahl von Versübersetzungen seit Stefan George ebenda,
Bd. 4, S. 227 – 235 (A. d. Ü.).
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die von sich aus einen Symbolwert haben. Auch
Mallarmés Blume hätte keinen, wäre sie nicht in die Stra-
tegie der leeren weißen Seite eingefügt. Das Symbol wird
zu einem vom Text und Kontext produzierten Sinneffekt,
und unter diesem Titel kann nun jedes beliebige Bild,
jedes Wort, jedes Objekt einen Symbolwert annehmen.
Welcher semiotische Schlüssel bietet sich uns, nicht zur
Interpretation,
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