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Die Bücher und das Paradies

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Titel: Die Bücher und das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Naturtheater, ausgebreitet vor unseren Augen, unter dem allegorischen Schleier einer
    verborgenen Bedeutung.
    Es ist gerade die Faszination der verborgenen Bedeu-
    tungen des Hieroglyphischen, derentwegen sich Kircher so
    um die altägyptische Schrift bemüht, im Gegensatz zu den
    schlichten und eindeutig kodifizierten Schriftzeichen der
    Chinesen, bei denen jedes Ideogramm einer präzisen Idee
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    entspricht (was Francis Bacon faszinieren mochte, nicht
    aber ihn). Die ägyptischen Symbole »involvierten ideale
    Gesamtbegriffe« ( integros conceptos ideales involvebant ), und mit involvere meinte Kircher nicht umfassen und
    darbieten, sondern einhüllen und verbergen. Die Ikonen
    der Ägypter müssen für ihn so etwas wie verführerische
    Kokotten gewesen sein, die ihre Verehrer fortwährend in
    den Strudel einer unbefriedigten Erkenntnisleidenschaft
    zogen, ohne sich ihnen jemals hinzugeben.
    Doch was tut Kircher nach diesen einleitenden Worten,
    über Tausende von Seiten in mindestens drei ver-
    schiedenen Werken? Er versucht sich an einer Ent-
    zifferung der Hieroglyphen, er legt seinen Ehrgeiz als
    Ägyptologe darein, uns zu enthüllen, welchen verborgenen
    Sinn jene Zeichen hatten, er übersetzt und ist überzeugt, in
    der einzig richtigen Weise zu übersetzen. Er irrt sich, wie
    wir heute wissen, aber es sind seine Absichten und nicht
    seine Resultate, über die wir hier zu urteilen haben.
    Champollion, der sich weniger irren sollte, vollführt
    letzten Endes die gleiche Operation wie Kircher, wenn
    auch in säkularerem Geist: Er sagt uns, daß es sich bei den
    Hieroglyphen um Zeichen handelt, um konventionelle
    Zeichen, die einen phonetischen Wert besaßen, er nimmt
    den Symbolen jede Ambiguität. Aber das hatte schon
    Kircher zu tun begonnen. Diejenigen, die später versuchen
    werden, weniger katholisch und weniger theologisch als
    er, diesen Hieroglyphen ein gewisses Maß an ungelöstem
    Geheimnis zu bewahren, verwandeln sie in Partei-
    abzeichen eines Okkultismus der billigen Sorte und sind in
    Wahrheit nicht fasziniert von ihrer Unergründlichkeit,
    sondern von der Sicherheit, die sie verleihen, als die
    rigiden Embleme, zu denen sie nunmehr geworden sind,
    daß es irgendwo noch ein Geheimnis gibt. Ein Geheimnis,
    das niemals enthüllt werden wird, nicht weil es uner-
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    gründlich ist, sondern weil seine Verwalter beschlossen
    haben, es nicht zu ergründen, um es als Markenzeichen
    und Glücksversprechen an die Sammler des Absoluten
    oder die Stammkunden des freimaurerischen Grand
    Guignol verkaufen zu können.
    Unsere Vorstellung vom Symbolischen radikalisert sich
    erst in einem säkularisierten Universum, in dem das, was
    das Symbol verhüllen und verbergen soll, nicht mehr das
    Absolute der Religionen ist, sondern das Absolute der
    Poesie. Wenn wir heute von Symbol sprechen, tun wir das,
    weil es den französischen Symbolismus gegeben hat, als
    dessen Manifest man Baudelaires Correspondances
    betrachten kann: Die Natur ist ein Tempel, aus dessen
    lebendigen Pfeilern manchmal wirre Worte dringen,
    comme de longs échos qui de loin se confondent / dans
    une ténébreuse et profonde unité / vaste comme la nuit et
    comme la clarté .5
    Erst jetzt kann man mit Mallarmé une fleur sagen und
    dabei unentschieden lassen, was das Wort evozieren soll,
    denn am Ende ist es gerade die vielsagende Abwesenheit
    aller Blumenpracht, und somit ist alles nichts, und wir
    können uns nur bestürzt in alle Ewigkeit fragen, was das
    sein mag, le vierge, le vivace et le bei aujourd’bui.
    Doch an diesem Punkt gibt es keine Objekte mehr, seien
    sie Embleme, mysteriöse Figuren oder einzelne Wörter,

    5 Les fleurs du mal , IV, in der Prosaübersetzung von Friedhelm Kemp: »Wie langer Hall und Widerhall, die fern vernommen in
    eine finstere und tiefe Einheit schmelzen«, in Charles Baudelaire, Sämtliche Werke, hrsg. v. Friedhelm Kemp und Claude Pichois,
    München, Heimeran 1975, Neudruck Hanser 1989, Bd. 3, S. 69;
    eine Auswahl von Versübersetzungen seit Stefan George ebenda,
    Bd. 4, S. 227 – 235 (A. d. Ü.).
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    die von sich aus einen Symbolwert haben. Auch
    Mallarmés Blume hätte keinen, wäre sie nicht in die Stra-
    tegie der leeren weißen Seite eingefügt. Das Symbol wird
    zu einem vom Text und Kontext produzierten Sinneffekt,
    und unter diesem Titel kann nun jedes beliebige Bild,
    jedes Wort, jedes Objekt einen Symbolwert annehmen.
    Welcher semiotische Schlüssel bietet sich uns, nicht zur
    Interpretation,

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