Die Bücher und das Paradies
Erleuchtung, jener
Ekstase, jener blitzartig-jähen Einsicht, die alle modernen
Theorien des Symbolismus als dem Symbol eigentümlich
betrachten. Das mittelalterliche Symbol eröffnet zwar
einen Zugang zum Göttlichen, aber es ist keine Epiphanie
des Numinosen, und es offenbart auch keine Wahrheit, die
nur in Begriffen des Mythos und nicht in solchen des
rationalen Diskurses ausgedrückt werden kann. Es ist eher
eine Vorstufe zum rationalen Diskurs, und seine Aufgabe
besteht gerade darin, im selben Moment, in dem es sich als
Lehrstück und Vorstufe nützlich erweist, seine eigene
Unangemessenheit offenbar zu machen: sein fast hege-
lianisch zu nennendes Schicksal, durch einen nach-
folgenden rationalen Diskurs bewahrheitet zu werden. Mit
anderen Worten, die mittelalterliche Welt war begierig auf
Symbole, der mittelalterliche Mensch empfand Ver-
wirrung, Angst und Ehrfurcht vor dem Bären und dem
Panther, vor der Rose und der Eiche; aber das waren
heidnische Überbleibsel. Nicht nur die Theologie, sogar
die Bestiarien waren fest entschlossen, diese Symbole zu
entschlüsseln, sie in Metaphern oder Allegorien zu
verwandeln, um sie am freien Fluktuieren zu hindern.
Im übrigen geschieht das ja auch mit dem, was
C. G. Jung Archetypen nennt und was ich unter die
weitere Kategorie jener Objekte fassen würde, die ich in
metaphorischem Sinne »totemisch« nennen möchte, da sie
gerade durch ihre Rätselhaftigkeit gebieterisch und
stimulierend sind. Jung war der erste, der uns erklärt hat,
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wie jedesmal, sobald diese archetypischen Bilder die
Einbildungskraft des Mystikers faszinieren und ihn zu
einer unendlichen Drift von einer Bedeutung zur anderen
mitreißen, sofort irgendeine religiöse Autorität eingreift,
um sie zu kommentieren, einem Kode zu unterwerfen und
in Gleichnisse zu verwandeln. Und dann wird das
totemische Objekt zu einem Symbol im degeneriertesten
Sinne des Wortes, jenem, in dem wir die Erkennungs-
zeichen der politischen Parteien als Symbole bezeichnen,
auf denen wir dann das Kreuzchen (oft inkognito) unserer
Zustimmung machen. Ausgestattet mit konnotativen
Appellen auf verschiedenen Ebenen (insofern man für eine
Fahne, ein Kreuz, einen Halbmond oder einen Hammer
mit Sichel zittern oder sterben kann), stehen sie jedoch da,
um uns zu sagen, woran wir glauben oder was wir
ablehnen sollen. Das Heilige Herz der Vendée war längst
nicht mehr das, welches die heilige Marguerite-Marie
Alacoque geblendet hatte. Aus einer Erfahrung des
Numinosen war es zu einem Banner geworden.
Eine Vorstellung vom Symbol als Erscheinung, die auf
eine mit Worten nicht ausdrückbare, widersprüchliche,
unfaßbare Wirklichkeit verweist, setzt sich im Abendland
erst mit der Verbreitung der hermetischen Schriften durch
und erfordert einen sehr »starken« Neuplatonismus. Doch
kaum ist das Gefühl für die jähen Erleuchtungen, die uns
die dunklen Reden des Hermes Trismegistos bieten, zu
einer Mode, einem Stil, einer koiné geworden, regt sich auch hier sofort der einst mittelalterliche und nun
hermetische Wille, das Symbol einzufangen und ihm einen
sozialisierbaren Sinn zu verleihen.
Interessanterweise war die Barockzeit am fruchtbarsten
in der Produktion, ja Neuerfindung von totemischen
Objekten – ich meine die Wappen, Devisen und Embleme;
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und interessanterweise sprach man bei ihnen stets von
Symbolen. Syntagma de symbolis hieß einer der
berühmtesten Kommentare zu Alciatos Emblemata , von
Symtblicarum Quaestiones spricht Bocchi, von Mundus Symbolicus Picinelli, ebenso der Scarlatino des Homo Figuratus et Symbolicus . Doch was diese Symbole sind,
erklärt Tesauro in seinem Cannochiale Aristotelico : »Das Symbol ist eine Metapher, die mittels irgendeiner
offenbaren Figur einen Begriff bedeutet.«
In dieser Verherrlichung der Symbole manifestiert sich
stets ein dogmatischer Wille zum Kommentar, das heißt
zur Entschlüsselung. Ehrfurchtgebietende Bände machen
uns sprachlos angesichts ihrer ikonologischen Ausstattung
mit wie aus Träumen entsprungenen Bildern, lebensecht
und detailgenau abgebildeten Leichnamen, Paradies für
Psychoanalytiker, die nicht vorhaben, den monumentalen
Kommentar dazu zu lesen. Geht man jedoch zu diesem
Kommentar über, so stellt man bald fest, daß er den Leser
Schritt für Schritt und nicht ohne Redundanz zur exak-
testen, wenn auch spitzfindigsten Entschlüsselung jeder
Figur führt, um eine und immer nur eine Moral
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