Die Bücher und das Paradies
der Ausdruck Symbol auch für jene didaskalischen
und sinnbildlichen Darstellungen benutzt wird, die anders-
wo Allegorien genannt werden.
184
Wahr ist, daß man von »symbolischem Universum« für
die Welt des Hochmittelalters gesprochen hat, von einem
Universum, in dem nach den Worten des Johannes
Eriugena ( De divisione naturae , V, 3) nihil enim visibilium rerum corporaliumque est, ut arbitror, quod non
incorporale quid et intelligibile significet (»von den sichtbaren und körperlichen Dingen ist keines, denke ich,
das nicht etwas Unkörperliches und Intelligibles
bedeutet«). Die Welt wäre demnach, wie später Hugo von
Sankt Viktor sagen wird, quasi quidam liber scripto digito Dei (»gleichsam ein von Gottes Hand geschriebenes
Buch«). Sollte also ein Universum, in dem nostrum statum
pingit rosa (»unseren Status stellt die Rose dar«, Pseudo-Alanus, Rhythmus alter )nicht von Symbolen erfüllt gewesen sein?
Folgt man Johan Huizinga ( Herbst des Mittelalters ,
Kap. 15), so ähnelte das symbolische Universum des
Mittelalters dem der Correspondances von Baudelaire:
Es gibt keine große Wahrheit, deren der mittelalterliche Geist gewisser war, als jener des Wortes an die Korinther: »Videmus
nunc per speculum in aenigmate, tunc autem facie ad faciem.«
(»Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Wort,
dann aber von Angesicht zu Angesicht.«) – Man übersah niemals, daß jedes Ding ohne Sinn sein würde, wenn seine Bedeutung sich in seiner unmittelbaren Funktion und Erscheinungsform
erschöpfte, daß alle Dinge ein gutes Stück in die jenseitige Welt hineinragen. Solches Wissen ist auch uns als unformuliertes
Gefühl noch jeden Augenblick vertraut, wenn etwa das Geräusch
des Regens auf den Blättern der Bäume oder der Schein der Lampe über dem Tisch in einer stillen Stunde hindurchdringt zu einer tieferen Wahrnehmung als der alltäglichen, die dem praktischen Denken und Handeln dient. Sie mag bisweilen in der krankhaften Form einer Zwangsvorstellung auftreten, der die Dinge wie von
einer drohenden persönlichen Bedeutung oder von einem Rätsel
schwanger erscheinen, das man kennen müßte und nicht kennen
kann. Häufiger aber wird sie uns mit der ruhigen und stärkenden 185
Gewißheit erfüllen, daß auch unser eigenes Leben in jenen
geheimnisvollen Sinn der Welt verwoben ist.
Dies ist freilich die Interpretation dessen, der bereits an
den Grenzen seines Landes die Schemen von Verlaine und
Rimbaud hat auftauchen sehen, umherirrend als Verbannte
auf der Suche nach dem Absoluten, dem Geräusch des
Regens auf den Blättern nachhorchend und bestrebt, sich
das Herz von weher Sehnsucht durchdringen zu lassen
oder sich an vokalischer Chromatik zu berauschen. War
dies die Symbolik des hohen Mittelalters, geschweige des
späten?
Um das neuplatonische Erbe anzunehmen, mußte man,
wie Dionysius Areopagita es getan hat, eine Idee des
Einen als des Unergründlichen und Widersprüchlichen
konzipieren, in der die Gottheit bezeichnet wurde als
»leuchtender Dunst der Stille, der geheimnisvoll
…
leuchtende Finsternis lehrt« ( Theologia mystica , passim).
Zwar bedeuten für Dionysius die Begriffe des Einen,
Guten, Schönen immer Gott, so wie auch das Licht und
der Blitz und die Eifersucht; aber diese Begriffe bedeuten
ihn nur in »übersubstantieller« Weise: Er ist das alles, aber
in einem unvergleichlich und unbegreiflich viel höheren
Maße. Mehr noch, Dionysius hebt hervor (und seine
Kommentatoren unterstreichen es), gerade damit klar sei,
daß die Namen, die wir Gott zuschreiben, inadäquat sind,
werde es gut sein, wenn sie so mißgestaltet wie irgend
möglich klingen, unglaublich unpassend, fast provo-
zierend beleidigend, außerordentlich rätselhaft, als ob das
Gemeinsame, das wir zwischen Symbolisierendem und
Symbolisiertem suchen, sich zwar herausfinden ließe, aber
nur um den Preis akrobatischer Folgerungen und unpro-
portioniertester Proportionen; und damit die Gläubigen,
wenn Gott als Licht bezeichnet wird, sich nicht die irrige
Vorstellung machen, es gebe leuchtende und golden
186
schimmernde himmlische Wesen, werde es um so besser
sein, Gott sub specie monströser Wesen zu benennen, als
Bär, als Panther, oder durch obskure Unähnlichkeiten ( De
Coelesti Hierarchia , 2).
Diese Art zu reden, die Dionysius selber »symbolisch«
nennt (zum Beispiel in De Coelesti Hierarchia , 2 und 15), hat nun jedoch nichts zu tun mit jener
Weitere Kostenlose Bücher