Die Bücher und das Paradies
aus ihr zu ziehen.
Großartig und bewegend ist hier die Unternehmung von
Athanasius Kircher, der sich in den Kopf gesetzt hatte, die
Geheimnisse der altägyptischen Schrift zu enträtseln. Er
befand sich in einer privilegierten Lage, da er etwas vor
sich hatte, was einem Emblem oder einem Wahlspruch
glich, zu dem jedoch kein Alciato, Valeriano oder Ferro
den Schlüssel liefern konnte. Alte und wohlbekannte
Bilder bekommen, wenn sie nicht mehr von einer
christlichen (oder heidnisch-antiken) Tradition, sondern
von den altägyptischen Göttern selbst überliefert scheinen,
einen anderen Sinn als den, den sie in den moralisierenden
Bestiarien hatten. Die biblischen Verweise, die hier fehlen,
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werden ersetzt durch Anspielungen auf eine unbe-
stimmtere Religiosität voll dunkler Verheißungen. Die
Hieroglyphen werden als initiatische Symbole gesehen.
Sie sind für Kircher Symbole , weil sie auf einen
verborgenen, unbekannten Inhalt mit vielen Bedeutungen
und reich an Mysterien verweisen. Im Unterschied zur
Konjektur, die von einem offenkundigen Symptom auf
seine Ursache schließen läßt, ist das Symbol »ein
bedeutsames Merkmal eines verborgeneren Geheimnisses,
will sagen, die Natur des Symbols besteht darin, unsere
Seele vermittels gewisser Ähnlichkeiten zum Verständnis
von etwas zu führen, das sehr verschieden von den Dingen
ist, die unseren äußeren Sinnen dargeboten werden; und
seine Eigenheit besteht darin, unter dem Schleier eines
dunklen Ausdrucks verhüllt oder verborgen zu sein […].
Es ist nicht aus Worten gebildet, sondern drückt sich allein
durch Merkmale, Charaktere, Figuren aus« ( Obeliscus
Pamphilius , II, 5, S. 114 – 120).
Sie sind initiatische Symbole, weil die Faszination der ägyptischen Kultur auf der Tatsache beruht, daß die
Weisheit, die sie verspricht, im unergründlichen und
unentschlüsselbaren Gehege eines Rätsels eingeschlossen
ist, das sie der Neugier des profanen Volkes entzieht. Um
es nochmals zu sagen, für Kircher symbolisiert die
Hieroglyphenschrift etwas Heiliges (in diesem Sinne sind
alle Hieroglyphen Symbole, was aber nicht umgekehrt
gilt), und ihre Kraft beruht darin, daß sie den Profanen
verschlossen ist.
Wenn dem so wäre, hätte die barocke Welt ihre Schrift
des Unergründlichen erfunden. Kircher will es so, und er
delektiert sich daran mit glühendem Eifer in seiner
Widmung an den Kaiser, die seinen Oedipus Aegyptiacus
eröffnet:
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Vor Deinen Augen, Allerheiligster Caesar, entfalte ich hier das vielgestaltige Reich des Hieroglyphischen Morpheus: ein Theater, gebildet aus einer immensen Vielfalt von Monstren, und zwar
nicht nackten Monstren der Natur, sondern so reich geschmückt
mit rätselhaften Chimären einer uralten Weisheit, daß ich dir
anvertraue, ihr scharfsinniger Geist könnte zu unermeßlichen
Wissensschätzen führen, nicht ohne Vorteil für die Literatur. Hier der Hund von Bubastis, der Saitische Löwe, der Mendesische
Bock, das schreckliche Krokodil mit seinem grausig aufgerissenen Rachen, sie alle enthüllen die verborgenen Bedeutungen der
Gottheit, der Natur, des Geistes der Antiken Weisheit, unter dem schattenhaften Spiel der Bilder. Hier die immerdurstigen
Dipsoden, die bissigen Vipern, die listenreichen Ichneumone, die grausamen Flußpferde, die monströsen Drachen, die Kröte mit
geblähtem Bauch, die Schnecke mit gewundener Muschel, die
haarige Raupe und zahllose Ungeheuer, sie alle zeigen die
wunderbar geordnete Kette, die sich in den Sakrarien der Natur entrollt. Es präsentieren sich hier tausend exotische Arten von Dingen in anderen und wieder anderen Bildern, verwandelt durch Metamorphose, konvertiert zu menschlichen Gestalten und wieder rückverwandelt zu sich selbst in wechselseitiger Verflechtung, die tierische Wildheit mit der Menschlichkeit und diese mit der
kunstvollen Gottheit; und schließlich die Göttlichkeit selbst, die, um es mit Porphyrius zu sagen, das ganze Universum durchzieht
und mit allen Wesen ein monströses Konnubium eingeht; worin
sich nun, sublim ob des gescheckten Antlitzes, den hündischen
Nacken erhebend, der Cynocephalus erhebt, dazu der schändliche Ibis und der Sperber, gehüllt in eine Maske mit Rammsporn […]
und wo auch, verlockend mit jungfräulich reinem Äußern, unter
der Hülle des Skarabäus der Stachel des Skorpions sich verbirgt.
[… Dies und noch vieles andere, vier Seiten lang aufgezählt]
betrachten wir in diesem vielförmigen
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