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Die Bücher und das Paradies

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Titel: Die Bücher und das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Lektüre
    vorausgeht, besteht oft die Neigung, ständig die schon
    bekannten Instrumente der Untersuchung offenzulegen,
    um zu zeigen, daß man sie kennt oder daß man so
    einfallsreich war, sie zu konstruieren – statt kunstvoll die
    Kunst zu verbergen und das, was der Text am Ende
    enthüllt, direkt aus dem Text hervorgehen zu lassen, nicht
    aus den bemühten Essays der theoretischen Metasprache.
    Es liegt auf der Hand, daß eine solche Vorgehensweise
    den Leser abschreckt, der ja etwas über den Text wissen
    wollte und nicht über die Metasprache der Lektüre-
    protokolle.
    Da eine Texttheorie Invarianten skizziert, während eine
    Kritik des Textes die Variablen herausarbeiten müßte,
    geschieht es häufig – nachdem man begriffen hat, daß die
    Welt der Intertextualität aus Invarianten und einfalls-
    reichen Ausnahmen besteht und das Werk ein Wunder an
    216
    Erfindungskraft ist, welches die Varianten, mit denen es
    spielt, zurückhält und verbirgt –, daß die semiotische
    Untersuchung sich auf die Entdeckung gerade der
    Invarianten jedes Textes beschränkt und die Erfindungen
    aus dem Blick verliert.
    So kommt es dann zu Untersuchungen über die Struktur
    der Tarotkarten bei Calvino (als hätte der Autor nicht
    selber schon alles dargelegt) oder zu Aufsätzen über
    Leben und Tod im Quadrat, identifiziert in beliebigen
    Texten, mit dem Ergebnis, daß Hamlet auf Sein oder
    Nichtsein, auf Nicht-Seinwollen oder Nichtsein-Wollen
    reduziert wird. Wobei das Vorgehen wohlgemerkt
    didaktisch glänzend sein und sogar zeigen kann, wie dort,
    wo wir alle uns täglich zwischen dem Seinwollen und dem
    Nichtseinwollen abmühen, Shakespeare uns ein ewiges
    Dilemma auf neue Weise vor Augen führt. Aber es ist
    gerade dieses »Neue«, bei dem der Diskurs ansetzen muß,
    und die narratologische Einebnung ist nur Vorspiel zur
    Entdeckung der künstlerischen Höhen.
    Wenn es richtig ist, daß die Literaturtheorie Invarianten
    in verschiedenen Texten entdeckt, dann darf der Kritiker,
    wenn er diese Theorie anwendet, sich nicht darauf
    beschränken, in jedem Text dieselben Invarianten
    herauszuarbeiten (womit er nicht über die Arbeit des
    Theoretikers hinausginge), sondern muß allenfalls vom
    Wissen um die Invarianten ausgehen, um zu sehen, wie
    der Text sie in Frage stellt, sie gegeneinander ausspielt
    und das Skelett von Fall zu Fall mit neuen Muskeln
    bepackt und mit neuer Haut überzieht. Das Drama des
    Nicht-wissen-Wollens von Ödipus (bei Sophokles) ent-
    steht nicht durch diese Thematik (die sich auch in
    Boulevardstücken findet, in denen die betrogene Ehefrau
    zu der schwatzhaften Freundin sagt: »Bitte, sag’s mir
    nicht«), sondern durch die Strategie, mit der die Ent-
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    hüllung hinausgezögert wird, durch den Spieleinsatz
    (Vatermord und Inzest gegen banalen Ehebruch) und die
    diskursive Oberfläche.
    Last but not least, die Textsemiotik unterscheidet oft
    nicht klar genug zwischen Manier und Stil in dem Sinne, wie Hegel das getan hat: erstere als wiederkehrende
    Obsession des Autors, der sich ständig selbst imitiert,
    letzterer als Fähigkeit, sich immer wieder selbst zu
    überwinden. Dabei wäre gerade eine Textsemiotik als
    einzige in der Lage, diese Unterschiede deutlich zu
    machen.
    Doch wenn man der Textsemiotik so viele Exzesse
    vorwerfen kann, was ist dann über die Defekte ihrer
    Gegner zu sagen? Gewiß ist es hier nicht unsere Sache,
    uns über die Orgasmen zu beklagen, an denen uns die
    artifices additi artifici teilhaben lassen, die uns in jedem Werk das Tagebuch ihrer Ent- und Verzückungen als
    Leser vorbeten, so daß eine dem Autor A gewidmete
    Seite, die versehentlich in ein dem Autor B gewidmetes
    Buch gerutscht ist, weder vom Korrektor noch vom
    Rezensenten bemerkt wird.
    Tatsächlich könnten wir den im Orgasmus schwelgenden
    Kritikern ihr Vergnügen lassen, das niemandem weh tut
    und nach einer Weile zeigt, wie wenig sie, die in Worten
    so orgiastisch sind, tatsächlich Libertinage treiben, ja daß
    sie geradezu einen Horror vor dem Anderssein haben,
    machen sie doch bei jeder ihrer kritischen Umarmungen
    letztlich nichts anderes als Liebe mit sich selbst. Und wir
    könnten auch denen, die Sozialkritik oder Geschichte der
    literarischen Institutionen oder Kritik der Sitten und
    Unsitten treiben wollen, ihre Tätigkeit lassen, die ja oft
    nützlich und wohlverdient ist.
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    Nur hat sich leider in den letzten zehn Jahren
    hierzulande eine Art neuer Wettsport entwickelt, bei dem
    es darum

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