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Die Bücher und das Paradies

Die Bücher und das Paradies

Titel: Die Bücher und das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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verlegen).
    Wir kennen ihn als Pseudo-Longinos, erstes Jahrhundert
    nach Christus, und wir sind geneigt, ihm die Erfindung
    jenes Begriffs zuzuschreiben, der seit jeher das Banner
    derer war, die behaupten, über Kunst denke man nicht
    rational nach, sondern man empfinde unsagbare Gefühle
    und registriere die daraus folgende Ekstase, und die könne
    man höchstens mit anderen Worten erzählen, aber niemals
    erklären.
    Ich meine den Begriff des Erhabenen , das in manchen
    Epochen der Kritik- und Ästhetikgeschichte mit der
    höchsten Ausformung der Kunst gleichgesetzt worden ist.
    Und tatsächlich präzisiert Longinos, oder wer immer sich
    hinter ihm verbirgt, gleich zu Beginn seiner Schrift: »Das
    Erhabene führt die Zuhörer nicht zur Überzeugung,
    sondern reißt sie fort zur Ekstase.« Wenn das Erhabene im
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    rechten Moment aus dem Akt des Lesens (oder des
    Zuhörens) hervorbricht, »zersprengt es alles wie ein
    Blitz«.
    Nur fragt sich Longinos an dieser Stelle (leider der
    einzigen, die in den Jahrhunderten Schule gemacht hat,
    und wir sind erst am Ende des ersten Absatzes), ob das
    Erhabene auch gedacht werden könne, und vermerkt
    sofort, daß viele seiner Zeitgenossen meinten, das
    Erhabene sei eine angeborene Fähigkeit, eine Gabe der
    Natur. Aber Longinos glaubt, daß sich die Gaben der
    Natur nur bewahren und fruchtbar machen lassen, wenn
    man mit Methode vorgeht, das heißt mit Kunst, und so
    macht er sich an sein Unternehmen, das, wie viele
    vergessen oder nie gewußt haben, eine Definition der
    semiotischen Strategien ist, die im Leser oder Zuhörer das
    Gefühl des Erhabenen wecken.
    Und kein russischer Formalist, kein Prager oder
    französischer Strukturalist, kein belgischer Rhetoriker
    oder deutscher Stilkritiker hat soviel Energie aufgewandt
    (sei’s auch nur auf wenigen Seiten), um die Strategien des
    Erhabenen aufzudecken und sie am Werk zu zeigen. Am
    Werk, soll heißen in ihrer Ausprägung und danach in ihrer
    Verteilung über die lineare Oberfläche des Textes, wo sie
    vor den Augen des Lesers die verborgenen Stilmanöver
    aufscheinen lassen.
    So zählt Longinos, sei er auch pseudo, die fünf Quellen
    des Erhabenen auf, als da sind die Fähigkeit, edle
    Gedanken zu fassen , die Fähigkeit, ein starkes,
    begeistertes Pathos zu manifestieren und zu wecken , die Kunst, die passenden rhetorischen Figuren zu bilden , die Erfindungskraft beim Erzeugen einer edlen Ausdrucksweise durch die Wahl der Worte und den korrekten
    Gehrauch der Figuren und schließlich die allgemeine Anlage des Textes , aus der ein würdevoll-hoher Stil
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    resultiert. Denn vor allem weiß Longinos im Gegensatz zu
    jenen, die zu seiner Zeit die semiotische Leidenschaft des
    Erhabenen mit der physischen Erfahrung des Orgasmus
    gleichsetzten: »Es gibt Arten von Pathos, die durchaus
    nicht erhaben, sondern niedrig sind, wie das Jammern, die
    Verzagtheit und die Ängste, und umgekehrt gibt es viele
    Erscheinungsformen des Erhabenen ohne Pathos.«
    Unter diesen Prämissen begibt sich Longinos auf seine
    Suche nach der erhabenen Photosynthese, die das Gefühl
    des Erhabenen produziert: Er zeigt, wie Homer, um dem
    Göttlichen Größe zu verleihen, durch eine wunderbare
    Hypotypose das Gefühl einer kosmischen Ferne erzeugt
    und wie er dieses Gefühl der kosmischen Ferne durch eine
    in die Länge gezogene Beschreibung physischer Distanzen
    wiedergibt; er beobachtet, wie für Sappho das innere
    Pathos nur dargestellt werden kann, indem sie eine
    Schlacht der Augen, der Ohren, der Zunge und der Haut in
    Szene setzt; er konfrontiert einen Schiffbruch bei Homer
    mit einem bei Arat von Soloi, wobei im zweiten Fall die
    Nähe des Todes durch die bloße Wahl einer Metapher
    (»Nur eine dünne Planke trennt sie vom Hades«)
    gleichsam anästhesiert wird, während bei Homer der
    Hades ungenannt und dadurch um so drohender bleibt. Er
    studiert die Strategien der Erweiterung und der
    Hypotypose, er untersucht das Theater der rhetorischen
    Figuren, der Asyndeta, der Sorites, der Hyperbata, und wie
    Konjunktionen die Rede ermatten lassen und Polyptota sie
    stärken und Tempuswechsel sie dramatisieren.
    Man denke nun aber nicht nur an eine Reihe von
    Stilanalysen. Longinos beschäftigt sich auch mit der
    Gegenüberstellung und der Vertauschung von Personen,
    mit dem Übergang von einer Person zur anderen, mit der
    Art, wie der Autor sich an den Leser wendet oder wie er
    sich mit einer Person identifiziert, und mit der

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