Die Bücher und das Paradies
Grammatik
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dieser narrativen Verfahren. Er vernachlässigt weder
Umschreibungen noch sprachliche Idiotismen, noch
Metaphern, Hyperbeln und Analogien. Es ist eine ganze
rhetorisch-stilistische Maschinerie mit Erzählstrukturen,
Stimmen, Blickwinkeln und Tempora, die er bei der
Arbeit besichtigt, indem er Texte analysiert und
vergleicht, um die Strategie des Erhabenen freizulegen
und sie unserer Bewunderung zu überlassen.
Man könnte meinen, nur simple Gemüter fallen in
Ekstase, während Longinos die Chemie ihrer Leiden-
schaften kennt und gerade deswegen um so mehr genießt.
In Paragraph 39 nimmt er sich vor, die »kompositorische
Harmonie im Gefüge der Wörter« zu behandeln, eine
Harmonie, die nicht bloß natürliche Anlage zur
Gewinnung von Überzeugung und Vergnügen ist, sondern
auch ein »wunderbares Instrument der großen, von
Leidenschaft erfüllten Rede«. Longinos weiß (aufgrund
alter pythagoreischer Tradition), daß die Flöte bei den
Zuhörern Leidenschaften erzeugt und sie außer sich
geraten läßt wie lauter rauschhaft verzückte Tänzer, auch
wenn sie ganz unmusikalisch sind, er weiß, daß die
Klänge der Kithara, die für sich allein bedeutungsleer sind,
eine betörende Wirkung ausüben. Aber er weiß auch, daß
die Flöte ihre Wirkung durch den Rhythmus erzielt, mit
dem sie »den Hörer zwingt, in ihrem Takt zu schreiten«,
und daß die Kithara »durch den Wechsel der Töne und
ihren harmonischen Zusammenklang« auf die Seele
einwirkt. Was er erklären will, ist nicht die Wirkung, die
für jeden offenkundig ist, sondern die Grammatik ihrer
Erzeugung.
So analysiert er, als er zur verbalen Harmonie übergeht,
»die mit dem Ohr auch die Seele einfängt«, einen Satz des
Redners Demosthenes, der ihm nicht nur bewundernswert,
sondern erhaben vorkommt, nämlich: »Dieses Dekret hat
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die Gefahr, die über der Stadt hing, weiterziehen lassen
wie eine Wolke.« Und er schreibt:
Hier ist der Gedanke nicht weniger wichtig als die Harmonie.
Der ganze Satz ist nämlich in daktylischen Rhythmen ausgedrückt, den edelsten und am besten geeigneten, Größe zu er zeuge n, weshalb sie charakteristisch für das heroische Versmaß sind, das schönste, das wir kennen. Versuche einmal, die Wörter nach
Belieben umzustellen: »Dieses Dekret hat wie eine Wolke die
Gefahr weiterziehen lassen, die über der Stadt hing«, oder
versuche auch nur eine einzige Silbe zu unterdrücken, indem du etwa sagst, »… weiterziehen lassen wie Gewölk«, und du wirst
begreifen, wie sehr die Harmonie mit dem Erhabenen
zusammenklingt. Tatsächlich hat die Wortgruppe »wie eine
Wolke« (ωoπερ vέφoς) einen langen ersten Fuß, der sich in vier Takten bemißt; wenn du jedoch eine Silbe unterdrückst, so daß
»wie Gewölk« (ωo vέφoς) herauskommt, verstümmelst du durch
die Verkürzung sofort die Größe. Fügst du umgekehrt eine Silbe hinzu und sagst:
»… weiterziehen lassen gleichwie eine Wolke«, dann sagst du
zwar dasselbe, aber es hat nicht dieselbe rhythmische Kadenz,
denn eine Verlängerung der letzten Takte verlangsamt und zerstört das Hervorbrechen des Erhabenen.3
Auch ohne Nachprüfung am griechischen Original ist
der Sinn dieser Analyse klar. Longinus betreibt
Textsemiotik. Und er betreibt Textkritik – jedenfalls nach
den Maßstäben seiner Zeit – und erklärt uns, warum wir
etwas erhaben finden und wie wenig man nur am
Textkörper zu verändern braucht, um die ganze Wirkung
zu zerstören. Mithin wußte man schon seit den fernsten
Ursprüngen (denn wenn wir noch weiter zurückgehen, zur
Poetik des Aristoteles, finden wir nicht weniger), wie man 3 Peri hypsous , 39, 4; vgl. die Ausgabe von Reinhard Brandt: Pseudo-Longinus, Über das Erhabene , griechisch und deutsch, Darmstadt, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1966, S. 105 ff.
(A. d. Ü.).
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einen Text liest und daß man keine Angst zu haben
braucht vor einem dose reading und vor einer manchmal terroristischen Metasprache (denn für seine Epoche war
die des Longinos nicht weniger terroristisch als die, die
heutzutage so viele unserer Zeitgenossen erschreckt).
Mithin geht es darum, den Ursprüngen treu zu bleiben,
sowohl denen des Stilbegriffs als auch denen des Begriffs
einer wahren Kritik und einer Analyse der Textstrategien.
Was die beste Stilsemiotik getan hat und tut, ist das, was
bereits unsere großen Vorfahren taten. Unsere einzige
Pflicht besteht darin, durch ernsthafte und
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