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Die Bücher und das Paradies

Die Bücher und das Paradies

Titel: Die Bücher und das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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geht, wer die heftigsten Bannflüche gegen die
    sogenannten formalistischstrukturalistisch-semiotischen
    Theorien schleudert, als wären sie es, die schuld sind –
    und jemand hat das sogar behauptet – an der Korruption
    von Tangentopolis, an der Mafia, am Zusammenbruch der
    Masochistischen Linken und am Aufstieg der
    Triumphierenden Rechten.
    Dies könnte ernstlich unangenehme Folgen haben, wenn
    und insofern es diesen Anklagen gelingt, die Jugendlichen
    und ihre jungen Lehrer in die Irre zu führen und sie von
    Wegen abzubringen, die wir in den letzten zwanzig Jahren
    glücklich eingeschlagen hatten.
    Wer in Paris das Erdgeschoß der Librairie des Presses
    Universitaires de France betritt, findet im zweiten Regal
    rechts Dutzende und Aberdutzende von Lehrbüchern für
    alle Schulstufen über die Anfertigung einer analyse de
    texte . Selbst die Pioniere des Strukturalismus der sechziger Jahre waren gezwungen, ich sage nicht die russischen
    Formalisten oder die Prager Schule wiederzuentdecken,
    aber die Legion guter empirischer angelsächsischer Kri-
    tiker und Theoretiker, die schon vor Jahrzehnten (wie
    Kenneth Burke) die Strategien des Blickwinkels, der
    narrativen Montage, der Aktanten oder Subjekte der
    Handlung von Grund auf analysiert haben.
    Für meine Generation (die erste nach Croce) waren die
    literaturtheoretischen und textkritischen Schriften von
    René Wellek und Austin Warren, von Dámaso Alonso
    oder Leo Spitzer Offenbarungen. Wir fingen an zu
    begreifen, daß Lesen nicht ein Ausflug ins Grüne ist, bei
    dem man fast zufällig rechts oder links eine poetische
    Blume pflückt, hier einen Hahnenfuß und dort einen
    Weißdorn, versteckt im Dünger der strukturellen Füll- und
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    Flickwörter, sondern daß man den Text als etwas Ganzes
    nehmen muß, das auf verschiedenen Stufen von Leben
    erfüllt ist. Auch unser offizielles Bildungswesen schien
    das begriffen zu haben.
    Warum ist man heute dabei, all das wieder zu vergessen,
    warum wird in den Literaturseminaren heute gelehrt, man
    brauche kein solides theoretisches Rüstzeug und keine
    Lektüre auf allen Stufen, um über einen Text zu sprechen?
    Das lange tagtägliche Bemühen eines so gewissenhaften
    Kritikers wie Gianfranco Contini sei eher schädlich, das
    einzige heute (wieder!) zu feiernde Kritikerideal sei das
    eines freien Geistes, der frei auf die je und je vom Text
    gebotenen Reize reagiere!
    Ich persönlich sehe in dieser Tendenz einen Ausfluß
    anderer Kommunikationsbereiche, eine Anpassung der
    Kritik an die Rhythmen und an die Investitionsrate anderer
    Aktivitäten, die sich als gewinnträchtig erwiesen haben.
    Warum verkauft sich die Rezension, die dazu zwingt, das
    besprochene Buch zu lesen, auf den Kulturseiten unserer
    Zeitungen weniger gut als der Kommentar zu einem
    Interview, das der Autor einer anderen Zeitung gegeben
    hat? Wozu soll man im Fernsehen eine eigens produzierte
    Inszenierung von Hamlet zeigen, wie es das viel-
    verspottete Fernsehen der sechziger Jahre getan hat, wenn
    es mehr Quote bringt, einen Dorftrottel und einen
    Fakultätsratstrottel auf gleicher Stufe in einer Talkshow zu
    präsentieren? Wozu also jahrelang einen Text studieren,
    wenn man die Ekstase des Erhabenen auch kriegen kann,
    indem man bloß ein paar Blätter kaut, ohne seine Nächte
    und Tage damit zu verbringen, die Sublimität eines grünen
    Blattes in den sublimen Manövern der Photosynthese des
    Chlorophylls zu entdecken?
    Nun, weil ebendies die Botschaft ist, die tagein, tagaus
    von den Priestern der Post-Antiken Neuen Kritik
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    verkündet wird: Wer sich über die Photosynthese durch
    Chlorophyll informiert hat, wird sein ganzes weiteres
    Leben lang unempfänglich für die Schönheit eines grünen
    Blattes sein, wer etwas über den Blutkreislauf weiß, kann
    sein Herz nicht mehr in Liebe erbeben lassen. Aber diese
    Botschaft ist falsch, und das muß immer wieder laut
    gesagt werden.
    Was hier stattfindet, ist eine Feldschlacht zwischen
    denen, die einen Text lieben, und denen, die es auf die
    Schnelle haben wollen.
    Aber lassen wir eine unverdächtige Autorität sprechen,
    die so weise und vertrauenswürdig ist, daß wir nicht
    einmal ihren richtigen Namen kennen – was ihr die
    Sympathie der inzwischen außer Rand und Band
    geratenen Jünger der traditionellen, unbekannten und
    okkulten Weisheit sichern müßte (oder auch die jener
    raffinierten Verleger, die nur den Autor eines einzigen
    Buches und vielleicht nicht einmal dieses einen

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