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Die Buecher und das Paradies

Titel: Die Buecher und das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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wie sehr die beiden für ihr Urteil verspottet wurden. Aber wer hat zuletzt gelacht? Als man das Faß leerte, fand man auf dem Grund einen alten Schlüssel, an dem ein ledernes Riemchen hing.
    Da haben wir es, die wahre Kritik ist die, die zuletzt lacht, denn sie läßt jedem sein Vergnügen, aber sie zeigt bei allen, woher es kommt.
    Natürlich kennt auch eine Textkritik, die von einem philosophus additus artifici betrieben wird, ihre Exzesse, die sie an der Erfüllung ihrer Aufgabe hindern. Es wird daher nützlich sein, einige Fehler der Textsermotik ins Auge zu fassen, die häufig dazu geführt haben, daß es zu den oben erwähnten Ablehnungssyndromen kam.
    Man verwechselt oft zwischen semiotischer Literaturtheorie und semiotisch orientierter Kritik. Ich verweise hierzu auf eine alte Debatte der sechziger Jahre, die, ausgelöst durch einen Katalog des Verlags Il Saggiatore zum Thema »Strukturalismus und Kritik«, im wesentlichen zwei Optionen gegenüberstellte, eine vertreten von Cesare Segre, die andere von Luigi Rosiello. Um es kurz zu sagen, für die erste Option sollte die linguistische Theorie dazu dienen, das einzelne Werk besser zu verstehen, für die zweite sollte die Analyse des einzelnen Werkes dazu dienen, das Wesen der Sprache besser zu erkennen. Mit anderen Worten, für die erste Option sollte ein Ensemble von theoretischen Annahmen dazu dienen, den persönlichen Stil eines Autors besser zu erkennen, für die zweite war der persönliche Stil eine Abweichung von der Norm, die das Wissen um diese Norm als solche bereicherte.
    Nun waren und sind diese beiden Optionen gleichermaßen legitim. Man kann eine Theorie der Literatur aufstellen und die einzelnen Werke als Dokumente benutzen, und man kann die einzelnen Werke im Licht einer Theorie der Literatur lesen oder genauer, indem man versucht, die Prinzipien einer Literaturtheorie aus der Analyse einzelner Werke zu entwickeln.
    Nehmen wir das Beispiel einer Abteilung der Texttheorie wie der sogenannten Narratologie, die Texte nicht als Gegenstand der Analyse, sondern als Beispiele für Erzähltechniken benutzt. Wenn die Kritik eines narrativen Textes zu einem besseren Verständnis dieses Textes dient, wozu dient dann die Narratologie? Zunächst einmal dazu, Narratologie zu betreiben, so wie die Philosophie essentiell zum Philosophieren dient. Sie erlaubt zu verstehen, wie narrative Texte im allgemeinen funktionieren, gleich ob sie schön oder häßlich sind. Sodann hilft sie vielen anderen Disziplinen (wie der Künstlichen Intelligenz, der Semantik, der Psychologie) zu verstehen, wie die Gesamtheit unserer Erfahrung sich (vielleicht) immer und überall in Form von »Erzählungen« strukturiert: Eine narratologische Theorie, die bloß erklärte, wie man erzählt, wäre noch wenig, aber wenn sie uns begreifen läßt, wie wir unsere Annäherungsweise an die Welt in narrativen Sequenzen organisieren, dann ist das schon etwas mehr. Schließlich dient sie auch dazu, besser lesen zu lernen, und sogar (siehe Calvino) neue Formen des Schreibens zu erfinden. Vorausgesetzt, man weiß sie mit einer »natürlichen« Art des Lesens interagieren zu lassen, das heißt mit einer kritischen Lektüre, die nicht schon in narratologischen Vorurteilen erstarrt ist.
    Nun gibt es zwei Mißverständnisse, eines über die Produktion und eines über die Rezeption. Zu ersterem kommt es, wenn der Semiotiker nicht recht weiß oder nicht deutlich genug klarstellt, ob er den Text zur
    Bereicherung seiner Erzähltheorie benutzt, oder ob er einige erzähltheoretische Kategorien benutzt, um den Text besser zu verstehen. Zum zweiten kommt es, wenn der Leser (oft voreingenommen) einen Diskurs als Kritik mißversteht, der jedoch darauf abzielt, aus einem oder mehreren einzelnen Texten die allgemeinen Prinzipien der Narrativität abzuleiten. Das ist dann so, als würde ein Psychologe, der sich für die Gründe interessiert, aus denen jemand tötet, eine statistische Untersuchung über die Morde der letzten zwanzig Jahre lesen und sich dann beklagen, daß die Statistik keine Erklärung der individuellen Motive gibt.
    Wir könnten uns damit begnügen, diese voreingenommenen Leser darauf hinzuweisen, daß die narrato-logischen Theorien weder zur besseren Lektüre noch zur genaueren Kritik dienen. Wir könnten sagen, daß sie lediglich Protokolle mehrfacher Lektüren sind und die gleiche Funktion haben wie die physikalische Theorie, die uns erklärt, wie und warum alle Körper nach demselben

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