Die Bücher vom Heiligen Gral. Der Erzfeind
Triumph über England hinwegfegten.
«Wir beide sollten Freunde sein», sagte Joscelyn, «und Ihr könnt mir gleich jetzt einen Freundschaftsdienst erweisen.» Er blickte zu seinem Schild, der verkehrt herum an der Wand hing, sodass die rote Faust nach unten zeigte. Thomas hatte ihn dort aufgehängt, als Zeichen dafür, dass sein Träger in Gefangenschaft war. «Nehmt ihn ab», bat Joscelyn mit bitterer Stimme.
Robbie warf Joscelyn einen Blick zu, dann stand er auf und löste den Schild mit Hilfe seines Schwertes vom Haken. Er fiel polternd zu Boden. Robbie hob ihn auf und lehnte ihn richtig herum an die Wand.
«Ich danke Euch», sagte Joscelyn. «Und vergesst nicht, Robbie, wenn ich Graf von Berat bin, brauche ich gute Männer. Ihr seid doch niemandem unterstellt, oder?»
«Nein.»
«Auch nicht dem Earl of Northampton?»
«Dem schon gar nicht.» Robbie hatte die Unfreundlichkeit des Earls keineswegs vergessen.
«Dann überlegt, ob Ihr nicht mir dienen wollt. Ich kann sehr großzügig sein, Robbie. Zum Beispiel werde ich gleich als Erstes einen Priester nach England schicken.»
Robbie sah ihn verständnislos an. «Einen Priester? Nach England? Wozu?»
«Um das Lösegeld für Euch zu übergeben», erwiderte Joscelyn lächelnd. «Ihr werdet ein freier Mann sein, Robbie.» Er musterte den jungen Schotten eingehend. «Wenn ich Graf von Berat bin, kann ich das tun.»
« Wenn Ihr Graf von Berat seid», wandte Robbie ein.
«Ich kann alle Gefangenen freikaufen», sagte Joscelyn überschwänglich. «Ich kann das Lösegeld für Euch zahlen und jeden von Euren Soldaten einstellen, der hierbleiben möchte. Ihr müsst mir nur gestatten, meine beiden Männer nach Astarac zu schicken.»
Am nächsten Morgen sprach Robbie mit d’Evecque, und der Normanne hatte nichts dagegen einzuwenden, dass zwei Soldaten zu dem Grafen nach Astarac ritten, solange sie schworen, anschließend in ihre Gefangenschaft zurückzukehren. «Ich hoffe nur, er ist nicht zu krank, um die beiden anzuhören», sagte d’Evecque.
So schickte Joscelyn Villesisle und dessen Gefährten los, seine beiden eingeschworenen Männer. Sie ritten mit Rüstung und Schwert und mit genauen Anweisungen.
Und Robbie wartete darauf, reich zu werden.
Der Regen hörte auf. Die dunklen Wolken zerfaserten in lange Streifen, die am Abend in zauberhaftem Rot leuchteten, und in der Nacht war der Himmel sternenklar. Der Wind drehte auf Süd und wurde wärmer.
Thomas und Geneviève blieben zwei Tage in dem zerfallenen Bauernhaus. Sie trockneten ihre Kleider, ließen die Pferde das letzte Gras des Jahres fressen und ruhten sich aus. Thomas genoss es, dass sie beide zum ersten Mal allein waren. In der Burg waren sie nie ungestört gewesen, denn selbst wenn sie sich in den Alkoven zurückzogen, war ihnen doch stets bewusst, dass unmittelbar neben ihnen im Saal noch andere schliefen. Und bis zu diesem Moment war Thomas auch nicht klar gewesen, welch eine Bürde die Verantwortung für ihn bedeutet hatte. Die vielen Entscheidungen – wen sollte er auf Beutezug schicken, wen in der Burg lassen, wen musste er im Auge behalten, wem konnte er vertrauen, wer musste auseinandergehalten werden, wessen Treue musste er mit ein paar Münzen erkaufen – und dazu die ständige Sorge, dass er etwas vergessen hatte, dass seine Feinde etwas ausheckten, worauf er nicht gefasst war. Und die ganze Zeit über war der größte Feind direkt an seiner Seite gewesen: Robbie, brodelnd vor selbstgerechter Empörung und unerfülltem Verlangen.
Jetzt konnte Thomas das alles beiseiteschieben, doch dafür gab es neue Schwierigkeiten, denn die Nächte waren kalt, der Winter nahte, und am zweiten Tag in ihrem Schlupfwinkel entdeckte er Reiter auf den Hügeln im Süden – sechs zerlumpte Männer, zwei davon mit Armbrüsten über der Schulter. Sie schauten nicht hinunter ins Tal, doch Thomas wusste, er und Geneviève würden nicht mehr lange ungestört bleiben, denn mit der Kälte kamen die Wölfe und die coredors aus den Bergen herunter, um sich unten in den Hügeln leichtere Beute zu suchen. Es war Zeit zu gehen.
Geneviève hatte Thomas nach dem Gral gefragt, und er hatte ihr erzählt, dass sein Vater ihn möglicherweise seinem eigenen Vater, dem einstigen Grafen von Astarac, gestohlen hatte; Vater Ralph hatte jedoch weder den Diebstahl noch überhaupt den Besitz der Reliquie jemals zugegeben, sondern lediglich ein Buch mit wirren Aufzeichnungen hinterlassen, die das Ganze nur noch mysteriöser machten.
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