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Die Buecherfluesterin

Die Buecherfluesterin

Titel: Die Buecherfluesterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anjali Banerjee
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noch. Indien ist ein gewaltiger Schritt für sie.«
    Wie auf ein Stichwort rutscht ein staubiges Taschenbuch vom Regal, gefolgt von einer Lawine abstürzender Bücher.
    » Sie hätte mich warnen sollen«, sage ich.
    » Wärst du dann hergekommen?« Er legt das Buch weg und ordnet die Regale neu.
    » Wahrscheinlich hätte ich ihr nicht geglaubt.«
    » Siehst du?«
    » Warum übernachtest du nicht hier und leistest dem Laden Gesellschaft, Tony?«
    » Das kann nicht jeder x-Beliebige«, antwortet er.
    Das ist doch lächerlich. Das ausgeblichene Foto von Lewis Carroll an der Wand hängt schief. Ich rücke das Bild mit der Aufschrift Charles Lutwidge Dodgson – Carrolls wirklicher Name– gerade. Er trägt eine dunkle Jacke, ein weißes Hemd mit hohem Kragen und eine Fliege und wendet uns das Profil zu. Die rechte Hand hat er an die Wange gehoben. Er macht ein langes Gesicht und sieht traurig aus. » Warst du das?«, frage ich ihn.
    Mr. Dodgson dreht sich zu mir um. Die Luft anhaltend weiche ich zurück. Nein, er schaut noch immer zu Seite und hat den nachdenklichen Blick nach unten gerichtet.
    » Alles in Ordnung?«, fragt Tony.
    Ich leide an leichten Halluzinationen. Vielleicht habe ich ja gestern Abend zu viel Wein erwischt. » Ich brauche einen Kaffee«, antworte ich rasch. » Damit ich wieder klar denken kann.«
    Ein ganzes Regal voller Hardcover-Bände kippt um wie eine Reihe von Dominosteinen.
    » Das Haus hat schlechte Laune«, stellt Tony kopfschüttelnd fest.
    Ich hebe die Hände. » Du hast gewonnen. Wenn es sein muss, übernachte ich heute eben hier.«
    Schweigen entsteht. Ich gehe zur Tür. Die Vorstellung, eine Nacht hier zu verbringen, schnürt mir die Brust zu. Die riesigen Räume werden mir nicht Gesellschaft leisten. Niemand wird neben mir schlafen. Robert wird zu Lauren ins Bett schlüpfen und sie in seine Arme ziehen. Und ich sitze ganz allein in einer verfallenen viktorianischen Villa in der Einöde fest.
    Als ich mich der Tür nähere, lässt ein Sonnenstrahl ein ausgeblichenes Poster mit William Shakespeares Konterfei aufblitzen. Es ist der Nachdruck eines realistischen Porträts in Farbe. Seine Stirn glänzt, in seinem linken Ohr funkelt ein Ohrring. Seine Mundwinkel sind nach oben gebogen. Oh, die entzünd’te Nässe seiner Augen / Oh, dieses falsche Feuer, das die Wang’ ihm rötet.
    » Ich bin beeindruckt. Du kannst ja Shakespeare zitieren.« Ich drehe mich zu Tony um, doch der befindet sich auf der anderen Seite des Zimmers, kehrt mir den Rücken zu und pfeift leise eine tonlose Melodie vor sich hin.

Kapitel 14

    D
raußen auf dem Gehweg haben sich einige Eltern mit ihren Kindern versammelt. Sie sind warm eingepackt, unterhalten sich und hüpfen in der Kälte herum. Der Atem steht ihnen in Wolken vor dem Mund. Das also sind die Menschenmassen, die zu Gertrude Gertlers Signierstunde erschienen sind.
    » Wir haben nicht genug Bücher«, sagt Tony. » Vielleicht muss ich nach Seattle fahren.«
    » Es sind nur etwa sieben Personen. Nicht unbedingt ein Ansturm.«
    » Ich rufe den Kurierdienst an. Bestenfalls sind die Bücher noch unterwegs.«
    » Meine Tante hätte Werbung für die Veranstaltung machen sollen. Plakate aufhängen, Flugblätter an die Schulen schicken…«
    » Sie hatte andere Sorgen.«
    Diese Anspielung auf die Krankheit meiner Tante tut weh. » Aber der Laden muss trotzdem laufen, wenn sie nach Hause kommt.«
    » Bis jetzt hat alles großartig geklappt.« Tony wirbeltherum und geht ins Büro. Ich folge ihm auf den Fersen.
    » Das stimmt nicht. Wir müssen einen monatlichen Terminkalender anlegen, Broschüren drucken, einen Aktionsplan aufstellen. Die Broschüren sind deine Aufgabe. Meine Tante hat mir die Leitung übertragen, und ich weise dich an, für die Veranstaltungen hier Werbung zu betreiben.«
    » Wie du meinst«, entgegnet Tony und reißt die Bürotür auf. » Du bist der Boss. Schließlich weißt du ja alles über diesen Laden. Du bist ja so… aufmerksam.«
    » War das Ironie? Willst du mich auf den Arm nehmen? Wie sollte ich das Chaos im Salon denn vorausahnen?«
    Er verdreht die Augen. » Du kommst hereinspazierst und willst hier alles auf den Kopf stellen. Es wäre besser, wenn du zuerst einmal die Augen aufmachst.«
    Ich sehe mich um und betrachte die staubigen Bücherstapel, die dunklen Ecken und die von der Decke hängenden Spinnweben. Obwohl ich die Fensterbretter abgewischt habe, sind sie schon wieder voller Staub. » Ich mache ja die Augen auf, und der

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