Die Buecherfluesterin
Anblick ist nicht gerade erfreulich.«
Tony schüttelt den Kopf. Offenbar hält er mich für unverbesserlich. » Wir müssen uns um Gertrude kümmern. Ich rufe den Kurierdienst an.« Er verschwindet im Büro und knallt mir die Tür vor der Nase zu.
Ein schüchternes Klopfen an der Vordertür, die zum Ufer zeigt, also nicht die, wo die übrigen Kunden stehen. Als ich sie öffne, habe ich eine zierliche, in geschichtete Winterstricksachen gehüllte Frau vor mir, die mit hochgezogenen Schultern auf der Veranda wartet. Eine rosafarbene Nase prangt wie eine Kirsche mitten in ihrem runden Gesicht.
» Wir haben noch nicht geöffnet«, sage ich. » Könnten Sie um die Ecke zu den anderen gehen?«
Sie drängt sich an mir vorbei ins Haus und wickelt sich den Wollschal vom Hals. » Warum hat das so lange gedauert?«, beschwert sie sich mit Reibeisenstimme. » Ich hätte mir da draußen den Tod holen können.« Sie faltet den Schal zu einem ordentlichen Quadrat und legt ihn auf den Tisch.
» Wenn Sie bitte draußen…«
» Wissen Sie denn nicht, wer ich bin?« Als sie die Strickmütze abnimmt, steht ihr das schüttere, flaumige silbergraue Haar elektrisch aufgeladen und funkelnd zu Berge. Sie faltet die Mütze ebenfalls und legt sie neben den Schal.
» Sie… sind Gertrude Gertler?« Meine Wangen werden ganz heiß. » Ich habe Sie in den Wintersachen nicht erkannt.« Außerdem hat der Fotograf in ihrem Fall offenbar ein wahres Wunder vollbracht.
» Ich verstehe nicht, wie man mich nicht erkennen kann.« Sie entledigt sich ihrer Handschuhe, die, natürlich gefaltet, auf dem Tisch landen. » Wo ist mein Tee?«
» Wir hatten heute Morgen ein paar Schwierigkeiten und hinken hinter unserem Zeitplan her.«
» Was für Schwierigkeiten?« Sie reibt sich die winzigen Hände. » Ist kein Tee da? Ich bekomme hier immer Tee.«
Ich begleite sie in die Teeküche und setze den Kessel auf. » Darf ich Ihnen ein Glas Wasser, Apfelsaft oder Orangensaft anbieten?«
» Ich trinke immer Tee.« Sie reibt sich weiter die Hände. » Saft mag ich nicht. Hat Ruma Ihnen das nicht erzählt?«
» Tee, natürlich.« Eine Diva.
» Zeigen Sie mir, wo ich signieren soll.«
» Im Salon. Aber dort herrscht noch das totale Chaos.« Ich führe sie den Flur entlang. Beim Eintreten beginnt sie zu beben wie ein Vulkan kurz vor dem Ausbruch.
» Wo. Sind. Meine. Bücher?«, fragt sie.
Tony kommt hereingehastet, um die Auslage in Ordnung zu bringen. » Wir haben sechs Stück da. Die anderen werden später geliefert.«
» Sie. Haben. Sechs. Stück?« Sie ringt die Hände und stößt einen Klagelaut aus. » Nur sechs? Haben Sie die vielen Leute draußen gesehen?«
Was für Leute? Einige scheinen sich wieder verdrückt zu haben. Ich zähle vier Erwachsene und zwei Kleinkinder auf dem Gehweg.
» Wir lösen das Problem«, erwidert Tony. » Der Kurier wurde in Portland aufgehalten.«
» Oregon! Er wird Stunden brauchen, bis er hier ist.« Sie marschiert zum Signiertisch und greift nach dem Block blauer Post-it-Zettel. » Was ist das?«
» Die sind für Sie«, erklärt Tony. » Wir machen es so wie immer und notieren uns die Namen, damit Sie sich beim Signieren nicht verschreiben.«
» Aber die sind ja blau.« Ihre Stimme vibriert wie ein angespannter Draht.
Tony wirft mir über ihren Kopf hinweg einen Blick zu. Ich zucke die Achseln und schüttle den Kopf. » Das tut mir schrecklich leid«, sagt er. » Wir haben heute keine rosafarbenen Post-its.«
Sie schleudert den blauen Block auf den Tisch.« Ich habe mich klar und unmissverständlich ausgedrückt. Ich verlange rosafarbene Post-it-Zettel. Auf Blau kann ich die Schrift nicht erkennen. Und wo ist mein blauer Markierstift?«
» Wir treiben einen für Sie auf.« Tony bedeutet mir, einen Stift suchen zu gehen.
Während ich in Richtung Büro eile, pfeift der Teekessel und jemand klopft an die Tür. Ich renne los, schalte den Herd ab, gieße eine Kanne englischen Frühstückstee auf und haste ins Büro, wo ich die Utensilien meiner Tante durchwühle. Allerdings kann ich keinen einzigen blauen Markierstift entdecken. Sie sind alle schwarz. Was hat diese Gertrude nur für ein Problem?
Ich bringe ihr eine Tasse Tee und einen schwarzen Stift. » Hoffentlich geht der auch.«
Sie schüttelt den Kopf und wirft den Stift auf den Tisch. Die Teetasse ignoriert sie. » Ich verlange ja wirklich nicht viel. Rosafarbene Notizzettel, einen blauen Stift, ein aufgeräumtes Zimmer und meine Bücher. Und eine Tasse Tee,
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