Die Buecherfluesterin
» Zu rosa.«
Die Gerüche hier– Gewürze, Stoffe und Schweiß– lösen Übelkeit in mir aus. Die Hälfte des Ladens ist ein indisches Lebensmittelgeschäft. Die importierten Kleidungsstücke hat man in die andere Hälfte gezwängt, wo nun die Kunden umherwimmeln, salwar kameezes von den Ständern nehmen und kurtas aus Baumwolle, Schals und Berge von Saris anprobieren.
» Der eine sieht aus wie Blut, der andere ist zu rosa«, schimpft Gita. » Ein Glück, dass ihr ihn nicht aussucht.«
» Wir wollen dir doch nur helfen«, entgegne ich. » Oder sollen wir etwa lügen?«
Gita funkelt mich an. » Ich möchte, dass du schonungslos ehrlich bist.«
Dann heirate nicht. Mach dir keine Gedanken über Saris. Letztlich ändern die Rituale nichts. Doch ich zwinge mich zu einem Lächeln. Ich will Gita die Freude nicht verderben.
Meine Mutter zieht einen anderen Sari aus dem Haufen auf der Theke » Was hältst du von dem da? Ein dunkleres Rot und eine wundervolle Seide.«
Die bananengelbe Frau fördert weitere Saris aus den Regalen zutage und wirft sie auf die Theke. Dabei behält sie ein paar kichernde junge Mädchen in der Ecke im Auge, die sich glitzernde runde bindis auf die Stirn kleben.
» Wie wäre es mit einer anderen Farbe?«, schlägt Ma vor. » Blau oder grün oder…«
» Wenn ich schon einen Sari trage, dann einen roten«, entgegnet Gita und sieht die Exemplare auf der Theke durch. » Ist das nicht die Kleidung einer bengalischen Braut?«
» Du kannst anziehen, was du willst«, erwidert Ma. » Ich dachte, ihr wolltet Ost und West mischen.«
» Wollen wir auch. Aber Dilips Familie möchte mich vielleicht in traditionellem Rot sehen.«
Ma entfaltet einen silbernen Sari mit einer auffälligen roten Kante. » Wichtig ist, was du möchtest.«
Diese Äußerung von meiner Mutter überrascht mich. Möglicherweise ist sie ja so großzügig, Gita ihren Hochzeitssari selbst aussuchen zu lassen, weil sie ja immerhin einen Inder heiratet.
» Ich bin nicht sicher, was ich möchte«, antwortet Gita. » Aber du hast recht. Ich sollte keine Kompromisse machen.« Sie winkt die bananengelbe Frau heran. » Haben Sie andere Saris mit eingewebter Kante?«
Die Frau nickt und holt noch einen Stapel Saris in verschiedenen Farben.
» Warum machst du dir überhaupt diese Mühe mit der Sucherei?«, frage ich. Allmählich tun mir die Füße weh. In den letzten drei Stunden waren wir in drei Läden und haben Saris entfaltet und sie ans Licht gehalten. Ich kann den schrillen Modeschmuck nicht mehr sehen.
» Ich brauche ausreichend Zeit«, erwidert Gita. » Schließlich soll die Hochzeit perfekt werden.«
» Wenn du erwartest, dass nichts schiefgeht, wirst du eine Enttäuschung erleben«, wende ich ein. » Weißt du noch, bei meiner Hochzeit ist der Fotograf zu spät gekommen. Und dann hat er eine Ewigkeit gebraucht, um mir die Fotos zu schicken…« Das spielt aber jetzt keine Rolle mehr.
Ma und Gita schweigen verlegen. Dann lächelt Gita. » Ich kann wenigstens mein Bestes versuchen.«
Ma breitet einen grünen, mit riesigen Lotosblüten bedruckten Sari auf der Theke aus. » Der ist wirklich reizend!«
» Nein!«, entsetzt sich Gita. » Ich würde aussehen wie ein Frosch im Lilienteich.«
Die bananengelbe Frau bedient eine Kundin, die auf die Bleichcreme Marke Light and Lovely in der Vitrine deutet. In Indien gilt blasse Haut noch immer als besonders schön. Mit meiner schwindenden kalifornischen Sonnenbräune würde ich keinen Blumentopf gewinnen.
Die Farben einiger Saris schmerzen mir in den Augen– neongrelles Limettengrün und Zitronengelb. » Tante Ruma wollte dir Saris aus Indien mitbringen«, sage ich. » Die sind in der Qualität sicher besser.«
» Warum kann ich mich nicht umschauen? Hier ist ein Seidensari, und hier noch einer und noch einer. Sie sind wunderschön.«
» Ich würde das tragen, was du jetzt anhast«, erwidere ich und deute auf Gitas schlichtes weißes Kleid unter der langen dunkelblauen Strickjacke. » Das ist elegant.«
» Bei einer bengalischen Hochzeit kann ich kein Weiß anziehen!« Sie rümpft die wohlgeformte Nase. » Die Farbe der Trauer?!«
» Du kannst jede Farbe tragen, die du willst. Eine Trauung ist nur eine Zeremonie, und zwar eine überfrachtete, wenn du mich fragst. Wir legen so viel Wert auf das Ritual, aber was wirklich wichtig ist, ist der Charakter des Menschen, den man heiratet. Du solltest dir eher überlegen, ob Dilip dich betrügen wird.«
» Jasmine!«, entsetzt sich
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