Die Büchse der Pandora
Nähe zwei Männer, die das junge Paar aufmerksam beobachtet hatten, und näherten sich dem Ecktisch.
»Verzeihung«, sagte der Ältere der beiden, ein hochgewachsener, gut gekleideter Herr mit Monokel und dünnem grauen Schnauzbart. »Man sagte mir, Sie seien Mr Theodore Blunt. Darf ich fragen, ob das der Fall ist?«
Tommy zögerte eine Sekunde, er fühlte sich in seiner Lage einigermaßen unbehaglich. Dann neigte er den Kopf.
»So ist es. Ich bin Mr Blunt.«
»Welch unerwartetes Glück! Mr Blunt, nach dem Essen hatte ich vor, Ihrem Büro einen Besuch abzustatten. Ich befinde mich in einer Notlage – einer überaus ernsten Notlage. Aber, entschuldigen Sie, was ist mit Ihren Augen geschehen?«
»Mein lieber Herr«, sagte Tommy mit wehmütiger Stimme. »Ich bin blind – vollkommen blind.«
»Was?«
»Sie sind überrascht. Aber sicher haben Sie schon zuvor von blinden Detektiven gehört?«
»In Romanen. Niemals im wahren Leben. Und ganz gewiss habe ich niemals gehört, dass Sie blind seien.«
»Viele Menschen sind sich dessen nicht bewusst«, bemerkte Tommy. »Heute trage ich eine Augenbinde, zum Schutz vor dem hellen Licht. Doch ohne sie ahnen die meisten Menschen nicht einmal von meinem Gebrechen – wenn man es so nennen möchte. Wissen Sie, meine Augen können mich nicht in die Irre führen. Aber genug davon. Sollen wir unverzüglich in mein Büro zurückkehren, oder wollen Sie mir die Umstände Ihres Falles gleich hier mitteilen? Letzteres wäre die bessere Variante, denke ich.«
Ein Kellner brachte zwei Stühle, und die beiden Herren nahmen Platz. Der zweite, der bislang noch nichts gesagt hatte, war kleiner, von kräftigem Körperbau und sehr dunklem Teint.
»Es ist eine überaus delikate Angelegenheit«, sagte der Ältere mit vertraulich gesenkter Stimme. Unsicher schaute er zu Tuppence hinüber. Mr Blunt schien den Blick zu spüren.
»Darf ich Ihnen meine Privatsekretärin vorstellen«, sagte er. »Miss Ganges. Man fand sie an den Ufern des indischen Flusses – nicht mehr als ein Bündel aus Decken. Traurige Geschichte. Miss Ganges ist mein Augenlicht. Sie begleitet mich überall.«
Der Fremde nahm die Vorstellung mit einem Kopfnicken zur Kenntnis.
»Dann kann ich frei reden. Mr Blunt, meine Tochter, ein Mädchen von sechzehn Jahren, ist unter überaus ungewöhnlichen Umständen entführt worden. Ich habe es vor einer halben Stunde erfahren. Die Umstände des Falles sind solcherart, dass ich es nicht wagte, die Polizei einzuschalten. Vielmehr rief ich in Ihrem Büro an. Dort sagte man mir, Sie seien zu Tisch, würden aber gegen halb drei wieder zurück erwartet. Also kam ich mit meinem Freund Captain Harker hierher…«
Der kleine Mann machte eine ruckartige Kopfbewegung und murmelte etwas.
»Und durch eine überaus glückliche Fügung speisen auch Sie hier zu Mittag. Wir dürfen keine Zeit verlieren. Sie müssen mich unverzüglich zu meinem Haus begleiten.«
Tommy widersprach besonnen.
»In einer halben Stunde kann ich bei Ihnen sein. Zuvor muss ich zurück in mein Büro.«
Captain Harke, der sich zur Seite drehte, um einen Blick auf Tuppence zu werfen, mag das leise Lächeln, das einen kurzen Moment lang in ihren Mundwinkeln lag, mit Verwunderung zur Kenntnis genommen haben.
»Nein, nein, das geht nicht. Sie müssen mich begleiten.« Der grauhaarige Herr zog eine Visitenkarte aus der Tasche und reichte sie über den Tisch. »Das ist mein Name.«
Tommy betastete die Karte.
»Für so etwas sind meine Finger dann doch nicht feinfühlig genug«, sagte er lächelnd und reichte die Karte an Tuppence weiter, die leise vorlas: »Herzog von Blairgowrie.«
Aufmerksam betrachtete sie ihren neuen Klienten. Der Herzog von Blairgowrie war berüchtigt für seinen Hochmut und seine Unzugänglichkeit. Er hatte die Tochter eines Schweineschlachters aus Chicago zur Frau genommen, die viele Jahre jünger war als er selbst und von lebhaftem Temperament, was für ihre gemeinsame Zukunft nichts Gutes verhieß. In letzter Zeit hatte es Gerüchte über Unstimmigkeiten zwischen den beiden gegeben.
»Werden Sie nun unverzüglich mit mir kommen, Mr Blunt?«, fragte der Herzog, und in seinem Gebaren lag eine gewisse Schärfe.
Tommy ergab sich dem Unvermeidlichen.
»Miss Ganges und ich werden Sie begleiten«, sagte er ruhig. »Aber Sie werden entschuldigen, dass ich zuvor noch einen großen schwarzen Kaffee zu mir nehme. Er wird unverzüglich serviert. Ich leide an überaus quälenden Kopfschmerzen, eine
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