Die Büro-Alltags-Bibel
abperlt. Das ist ungerecht, denken Sie. Das kann so nicht weitergehen! Tut es aber. Schuld daran ist jedoch weniger die unfaire Welt im Allgemeinen oder Ihr behäbiges Umfeld im Besonderen, sondern schlicht mangelnder Mut. Das alles basiert auf dem seit Anbeginn der Schöpfung verbreiteten Konzept, dass Schweigen, so sich nicht umgehend jemand beschwert – ein Kunde, der Chef, Gott –, als stumme Zustimmung gewertet wird. Und man muss kein Organisationspsychologe sein, um zu wissen, was passiert, wenn alle so denken wie Sie, aber eben auch nur so denken: nichts.
Genauso falsch wäre es natürlich, seinen Ärger unkontrolliert zu ventilieren. Bei aller Sympathie: Wer wiederholt herumschreit, gegen Aktenschränke tritt oder das Schließen von Bürotüren über Gebühr beschleunigt, kann dafür abgemahnt oder gar gekündigt werden. Rage löst nun mal keine Probleme. Schon vor Jahren gab es dazu eine, nun ja, amüsante Studie des Madigan Army Medical Center. Die Forscher hatten dabei 64 Patienten untersucht, die sich bei einem Racheakt an einem Getränkeautomaten verletzten, der nicht so wollte wie sie; 15 dieser ohnehin schon entnervten Zeitgenossen konnten allerdings nicht mehr befragt werden: Sie wurden bei ihrem Koller vom umkippenden Automaten erschlagen. Ich will hier aber nicht pauschalisieren, Wut hat viele Formen: Mal wird sie nur strategisch eingesetzt, mal ist sie harmlos, ein anderes Mal ist sie blind, impulsiv bis aggressiv, mal sogar krankhaft. Eine normale Wutattacke dauert indes eher so zwischen zehn und 20 Minuten. Und wenn die Emotionen hochkochen, sind Frauen – entgegen allen Klischees – genauso aggressiv wie Männer. Sie gehen nur anders damit um: Während sich Männer in ihrer Männlichkeit eher bestätigt sehen, wenn sie mal ordentlich auf den Tisch hauen und Dampf ablassen, plagt Frauen kurz danach ein schlechtes Gewissen wegen des vorübergehenden Kontrollverlusts. Wobei Psychologennoch einmal zwischen Wut, Ärger und Zorn unterscheiden. Ärger weist von diesem Trio den geringsten Erregungszustand auf. Wut ist schon wesentlich ungestümer: Wer wütet, zerstört meist blindlings. Von Zorn wiederum sprechen Wissenschaftler, »wenn die Angelegenheit, die uns ärgert, nicht primär auf unser Ich bezogen ist, sondern auf etwas Übergreifendes«, sagt zum Beispiel Verena Kast, Professorin für Psychologie an der Universität Zürich. Zorn sei distanzierter als Wut. Eigentlich.
Falls gerade Ihr PC abstürzt, bevor Sie die erste Sicherungskopie Ihrer Arbeit ziehen konnten, die Kollegin einen Bad-hair-day hat und deswegen unberechenbarer in ihren Stimmungen schwankt als Rumpelstilzchen oder der Kollege seinen Brühkaffee ausgerechnet dann über Ihre Hose schwappt, wenn Sie in die Kundenpräsentation aufbrechen wollen, werden Sie für derlei feinsinnige Unterscheidungen kaum ein Gespür entwickeln. Dann muss der Frust raus. Prompt. Am besten laut. Eine menschliche Regung mit überaus historischen Dimensionen. So ließ Xerxes, persischer König um 500 vor Christus, einmal das Meer am Bosporus mit Eisenketten peitschen, weil es ihm zu stürmisch war. Kann man so machen. Das Beispiel dokumentiert aber auch, dass solches Verhalten in der Regel nur suboptimal wirkt.
Richtig dosiert, kann Wutschnauben kurzfristig die Chance erhöhen, von anderen bewundert, unterstützt, gewählt oder befördert zu werden. Es beweist Energie, Durchsetzungswillen und Kraft, hat der Sozialpsychologe Brad Bushman von der Iowa-State-Universität festgestellt.
Deswegen ist das Problem nicht unlösbar. »Gefühle sind Entscheidungssache«, lautet ein altes Bonmot. Und es ist wahr: Wut lässt sich kontrollieren, wir dürfen uns von unseren Emotionseruptionen nur nicht fortspülen lassen. Und das gilt im besonderen Maß für das Verbalisieren von Missmut, der Kritik.
Kritik ist, wenn man es netter sagt als man es meint. Leider ist dies einer der größten Irrtümer über Kritik. Es stimmt zwar: Kritik will hübsch angerichtet sein, damit der andere sie bereitwillig schluckt. Kritik kann – richtig eingesetzt – eine enorm kreative Kraft sein, die Lernprozesse, Weiterentwicklungen und Erfolge überhaupt erst möglich macht. Nur nutzt das alles wenig, wenn in der Soße aus Toleranz und Lieblichkeit die Kernbotschaft absäuft. Wer also vorhat, als tadelnder Herold zu reüssieren, der sollte sichweniger auf Verpackungskünste und mehr aufs Wesentliche konzentrieren. So wie es auch Annette Bruce getan hat. Die Kölner
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