Die Büro-Alltags-Bibel
von verschiedenen Männern und ihren Mann durch einen Geliebten meucheln lassen. Sie war aber auch eine der fortschrittlichsten Monarchinnen und pflegte Briefwechsel mit der intellektuellen Elite Europas, darunter Diderot oder Voltaire, weshalb ein weiteres Gerücht besagt, dass es die französische Hautevolée war, die mit dem Sodomiegerücht ihre wachsende Reputation zerstören wollte. So oder so – bis heute besitztdie Mundpropaganda enorme Macht. Untersuchungen der TU Chemnitz zufolge können überzeugend kommunizierte Gerüchte Aktienkurse um rund drei Prozent nach oben oder unten bewegen.
Klatsch und Tratsch, mündlich verbreitete Vermutungen, Spekulationen – egal, wie man es nennen will: Der Flurfunk im Büro informiert uns regelmäßig und zuverlässig über entscheidende Personalien, bedeutsame Projekte oder bislang heimliche Liebschaften. Vor allem dann, wenn amtliche Auskünfte knapp werden. So ist es kein Wunder, dass die wildesten Spekulationen insbesondere in Krisenzeiten Konjunktur haben. Dann liegen die Nerven blank, die Unsicherheit im Unternehmen wächst – erst recht, wenn in einem Team Stellen abgebaut werden sollen, mehrere Kollegen um einen Posten buhlen und Rivalitäten überhandnehmen. Dann misstraut die Mehrheit den offiziellen Verlautbarungen und orientiert sich zunehmend am Hörensagen. Auch an den unschönen Klatschgeschichten. Hinter vorgehaltener Hand heißt es dann, dieser sei mit der Aufgabe eigentlich »überfordert«, jener sei nicht »integer« genug und sie habe sich ja doch nur »hochgeschlafen«. Unerfreulich ist das – aber zutiefst menschlich.
Als der Sozialpsychologe Stanley Milgram 1967 untersuchte, wie sich Nachrichten verbreiten, kannte er das Internet freilich nicht. Deshalb kam er zum Ergebnis: Jeder kennt jeden über maximal sechs Ecken, auch bekannt als das
Kleine-Welt-Phänomen
. Jeff Rodrigues gelangte 2008 jedoch in seinen Studien zu der Erkenntnis, dass sich die sechs Ecken durch die sozialen Netze im Web auf drei reduziert haben. Oder kurz: Virtuell ist der Freund Ihres Freundes Ihres Freundes höchstwahrscheinlich auch mein Freund. Jedenfalls statistisch.
Diese Lust am Klatschen und Tratschen ist keineswegs eine weibliche Domäne, wie viele meinen. Zwar leitet sich der Begriff »Klatsch« nach herrschender Meinung vom lautmalerischen Geräusch des Ausschlagens nasser Kleidung an öffentlichen Waschplätzen ab. Dort kamen einst die Frauen zusammen und wuschen ihre Schmutzwäsche – auch im übertragenen Sinne. Klatschweiber im Wortsinn eben. Historisch betrachtet aber haben Männer wie Frauen offenbar dieselbe Freude an der Flüsterpropaganda. Als Beleg für die Gleichstellung beim Gerede führen Forscher gerne die Kaffeehäuser des 17. Jahrhunderts an: Als in London erstmals Kaffee importiert wurde, trafen sich dort die ausschließlich männlichen Händler, kungelten Verträge aus und plauderten ebensoüber die Kreditwürdigkeit und die Schwächen ihrer Konkurrenten – vermutlich sogar mit großem Genuss.
Anfang 2006 ließ der Wissenschaftler Alex Mesoudi von der schottischen St.-Andrews-Universität Probanden vier Texte lesen und zusammenfassen. Dieses Vademekum wurde von weiteren Teilnehmern gelesen und noch einmal kondensiert. Vier Textgenerationen lang. Dann verglich Mesoudi das Ergebnis mit den Originalen: Natürlich hatten sich die Geschichten stark verändert. Doch einige Stellen hatten sich auch über Generationen hinweg hartnäckig gehalten. Es waren ausgerechnet jene Passagen, die pikante Details zu den Akteuren enthielten. Sie wurden genauer und auch ausführlicher wiedergegeben als alles, was ausschließlich Fakten transportierte. Oder kurz: Klatsch bleibt im Kopf. Wie mir der Bielefelder Soziologe Jörg Bergmann bei meinen Recherchen erzählte, gibt es jedoch einen inhaltlichen Unterschied zwischen dem Klatsch der Frauen und dem Tratsch der Männer: Zwar plaudern beide gleich gerne über das jeweils andere Geschlecht. Frauen werden bei ihren Erzählungen jedoch »entweder deutlich gehässiger oder mitfühlender«, so Bergmann. Männer wiederum tratschen emotionsloser und thematisieren vornehmlich das neue Auto des Nachbarn, das iPhone des Kollegen oder die Figur einer Geliebten. Im Kern ginge es bei ihnen mehrheitlich um Trophäen.
Man muss das gar nicht verurteilen. Regelmäßiger Flurfunk hat ja auch sein Gutes. Angeblich erhöht er sogar die Produktivität, wie die Arbeitspsychologin Kathryn Waddington von der Universität London bei
Weitere Kostenlose Bücher