Die Büro-Alltags-Bibel
sind«, erkannte schon die Schriftstellerin Anaïs Nin. Ihre weise Feststellung erhält längst akademische Unterfütterung, etwa durch die Psychologin Veronica Ramenzoni von der Universität von Virginia. Nach eingehender Forschung kam sie erst kürzlich zu dem Schluss, dass die Art, wie wir andere Menschen beurteilen, ganz oft von unseren eigenen Fähigkeiten abhängt. Oder anders formuliert: Wer selbst keinen Marathon läuft, traut es tendenziell auch keinem anderen zu.
Eine solche Haltung ist schon überheblich genug. Hinzu kommt jedoch der Nimbus der Erleuchtung, der bei jedem Urteil und damit auch bei jeder Kritik mitschwingt: Wer andere beurteilt, umgibt sich mit der Aura des Ein-, Weit- und Durchblicks und kommt damit automatisch in den Ruch eines Bescheidwissers. Auf alles eine Antwort, womöglich gar die bessere parat zu haben, macht eben nicht sympathisch. Und wer anderen – und sei es ohne böse Absicht – durch seine An- und Einsichten immer wieder ihre eigenen Unzulänglichkeiten vor Augen führt, erzeugt vor allem zweierlei: Minderwertigkeitsgefühle und Rachegelüste. Blockieren aber erst einmal angekratzte Gefühle den Verstand, bleibt Ihr Gegenüber auch den edelsten Argumenten verschlossen. Klüger ist deshalb die Strategie, die der Japaner Tsunetomo Yamamoto in
Hagakure – Der Weg des Samurai
beschreibt: »Um jemandem deine Meinung zu sagen, musst du vorher sorgsam abschätzen, ob derjenige in einer günstigen Verfassung dafür ist. Du musst dich mit ihm vertraut machen undsichergehen, dass auch er Vertrauen zu dir fasst.« Es gehe darum, erst einmal Themen zu finden, die dem anderen wichtig sind, eine günstige Gelegenheit abzuwarten und sich unmissverständlich auszudrücken. Wer dann noch die Stärken des anderen rühme und über eigene Schwächen seinem Gegenüber vorsichtig dessen Schwachpunkte vor Augen führe, sei kurz vor dem Ziel: »Bringe ihn dazu, deine Meinung entgegenzunehmen wie ein Mann mit trockener Kehle das Wasser, und du wirst seine Fehler korrigieren.«
Wer seinen Ärger ausdrückt, erscheint dominanter, hat die Stanford-Professorin Larissa Tiedens ermittelt. Dazu untersuchte sie die Reaktionen auf Gesichtsausdrücke: Menschen, die traurig dreinschauen, werden als liebenswürdig eingestuft, aber auch als schwach. Wer sich dagegen ärgert, wirkt stark und klug. Ihnen gestanden die Probanden einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn sowie höheren Status zu.
Wenn Sie also einem anderen Ihre Meinung mitteilen wollen, hängt dessen Reaktion wesentlich davon ab, wie sehr Sie sich vorher emotional stabilisieren und ob Sie sich vorab klarmachen, warum Sie den anderen kritisieren möchten: Wollen Sie ihm damit wirklich einen Dienst erweisen oder nur sich selbst produzieren? Andere zu kritisieren, ohne dabei Streit zu provozieren, gelingt letztlich nur durch eine innere Diensthaltung (die durchaus wahrgenommen wird), den Versuch, den anderen sein Gesicht wahren zu lassen – und durch die folgenden acht Tipps:
Kommt es zur Aussprache, steht die Atmosphäre an erster Stelle. Bemühen Sie sich unbedingt um Sachlichkeit. Starten Sie niemals mit Wut im Bauch. Ein zeitlicher Abstand zum Auslöser hilft hierbei oft schon, allerdings sollte das Gespräch auch nicht zu lange hinausgezögert werden. Im Fachjargon heißt diese erste Annäherung
Kontaktphase
.
Auf sie folgt die
Aufmerksamkeitsphase
: Ist eine gute Gesprächsatmosphäre gefunden, sollten Sie zusammen klären, wie Sie sich das Gespräch vorstellen. Dabei sollten sich alle Beteiligten einig sein, dass sie gemeinsam an einer Lösung arbeiten wollen. Will einer den Konflikt partout nicht ausräumen, können Sie sich die ganze Aktion sparen.
Sind sich alle einig, sollten sie nacheinander über ihre Interpretation des Konflikts sprechen: Wie kam es dazu? Was nervt? Was hat die Sache eskalieren lassen? Charmanter ist in diesem Fall übrigens, selbst zu beginnen, dann steht die Version des anderen zuletzt im Raum, was ihm ein besseres Gefühl gibt. Lassen Sie sich an dieser Stelle aber bitte nie zu Verallgemeinerungen vom Typ »Das sehen alle so« oder »Das macht man nicht« hinreißen. Das sind sublime Attacken, die verletzen undAggressionen schüren. Und: Zu diesem Zeitpunkt sollte noch keine Diskussion über die Richtigkeit der Sichtweisen stattfinden. Das mündet nur in Streit.
Bleiben Sie stets ruhig und vermeiden Sie hektische Bewegungen. Starren Sie den anderen nicht an, das macht ihn nur aggressiver. Schauen Sie aber auch nicht
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