Die Büro-Alltags-Bibel
Dringlichkeitsstufe »hoch«. Aufschub unmöglich. Just do it.
Wer also nicht gerade über vier Arme wie der indische Gott Vishnu verfügt, den umgibt spätestens am Nachmittag ein veritables Büro-Tohuwabohu. Das in dem Zusammenhang gerne angeführte Klischee – Frauen seien multitaskingfähig, Männer hingegen nicht –, ist übrigens grober Unfug. Wie der Neurowissenschaftler Earl Miller vom MIT längst belegen konnte, ist Multitasking reine Fiktion. »In den meisten Fällen können wir uns auf nicht mehr als eine Sache fokussieren. Das Einzige, was wir lernen können, ist, uns besondersschnell nacheinander auf wechselnde Dinge zu konzentrieren.« Wissenschaftliche Studien zeigen, dass aber auch das wenig bringt, weil man nur Zeit verliert, wenn man zu viel auf einmal macht.
Wer seine Zeit und damit auch seinen Büroalltag besser in den Griff bekommen will, sollte sich deshalb weniger über Zeitmanagement Gedanken machen, dafür umso mehr über besseres Selbstmanagement. Denn genau darum geht es auch bei Ersterem: sich selbst besser zu organisieren, sich schon morgens einen Überblick zu verschaffen, seine Aufgaben zu planen, zu priorisieren und natürlich über den Tag motiviert zu bleiben – oder anders gesagt: Es geht darum, bessere Entscheidungen zu treffen.
Sinnlose Anwesensheitspflicht erhöht die Bereitschaft, drei oder mehr Tage im Jahr blauzumachen. Das gestanden 15,9 Prozent der Büroarbeiter Forschern der Durham Business School in der Studie »Effektives Arbeiten im 21. Jahrhundert«. Zweites Ergebnis: Sobald jemand seine Arbeit selbstständig organisieren kann, erhöht sich seine Produktivität. Den Effekt erklären die Forscher mit einer Art Grundrauschen aus sich ständig ändernden Anweisungen im Büroalltag.
Das allerdings ist harte Arbeit. Rund 20 000 Entscheidungen treffen wir täglich, die meisten davon binnen Sekunden. Das macht diese erstens nicht gerade leichter und zweitens tückisch. Insbesondere im Job geraten wir immer wieder in Situationen, in denen wir blitzschnell reagieren müssen. Denn dort stehen wir mit einer Wahrscheinlichkeit von etwa 60 Prozent unter Zeitdruck, hat einmal das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin ermittelt. Keine guten Voraussetzungen. Wer viel entscheiden muss, büßt dabei einen Gutteil seiner geistigen Kapazitäten ein. Die Psychologin Kathleen Vohs hat das in einigen Experimenten untersucht und festgestellt, dass viele Entscheidungen die Anfälligkeit für Fehler erhöhen und müde machen. Bei einem ihrer Experimente wurden die Probanden etwa zum Shoppen in ein Einkaufszentrum geschickt. Dort trafen sie zweifellos eine Menge Konsumentscheidungen. Anschließend mussten sie einen Mathetest absolvieren. Dabei machten die Einkaufsbummler keine gute Figur, im Gegenteil: Ihre Lösungsbögen strotzten im Gegensatz zur Kontrollgruppe nur so von Fehlern. Egal also, ob man freiwillig oder unter Druck eine Wahl trifft, ob sie Spaß macht oder nicht – sie powert einen aus.
Der Mensch hat dafür eine Art Schutzmechanismus entwickelt: den Instinkt. Über 20 Jahre ist es her, dass dem U S-Neu rophysiologen Benjamin Libet aufgefallen ist, dass unser Gehirn etliche Sekunden vor der eigentlichen Entscheidung aktiv wird. Damals entstand eine heftige Diskussion über die tatsächliche Willensfreiheit des Menschen – denn womöglich haben wir schon entschieden, bevor wir das bewusst tun. Nehmen wir ein einfaches Beispiel aus dem prallen Leben: eine Flirt-Situation. Sie wollen Ihr attraktives Gegenüber gerne ansprechen, weil Sie sich extrem angezogen fühlen. Gleichzeitig spüren Sie aber Angst, abgewiesen zu werden. Was anschließend in Ihrem Kopf passiert, sind zwei parallel laufende Prozesse – oder kurz: Sie wägen ab, welches Risiko überwiegt und welche Entscheidung den größeren Erfolg verspricht. Nun haben Wissenschaftler der Harvard-Universität untersucht, wie schnell diese emotionalen beziehungsweise rationalen Denkvorgänge auf einen solchen Entscheidungsreiz folgen und was dabei passiert. Das Merkwürdige: Die emotionale Reaktion erfolgt fast doppelt so schnell wie die rationale. 220 bis 260 Millisekunden nach dem auslösenden Impuls fühlen wir: »Das will ich« oder »Das will ich nicht«. Erst ab der 480. bis 640. Millisekunde setzt der Verstand ein und kalkuliert, verifiziert, rationalisiert. Im neuronalen Kosmos ist die erfolgte Wahl da freilich längst ein Greis. Deshalb übernimmt der Verstand eine andere Aufgabe: er suggeriert.
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