Die Büro-Alltags-Bibel
mehr Kreativität im Büro eine entsprechende Kultur, die Andersdenken und Andersdenkende respektiert und Anregungen zulässt, statt sie sofort zu zensieren. Das schließt mit ein, dass der bessere Gedanke auch mal aus einer anderen Abteilung kommen darf oder eben nicht vom Chef, sondern vom sogenannten kleinen Mann – der dafür aber ganz nah dran ist am praktischen Problem. »Das Thema ist nicht, die Kreativität zu steigern, denn entweder ist ein Mitarbeiter kreativ oder er ist es nicht. Ich muss nur verhindern, dass Kreativität in der Bürokratie untergeht oder an Budgets scheitert«, sagte zum Beispiel Hermut Kormann, Mitgründer der Wissensfabrik, in einem
Handelsblatt -Interview
. Wer also auf die Erleuchtungen seiner Mitarbeiter setzt, tut gut daran, diese einen Teil ihrer Arbeitszeit vom Schreibtisch zu verbannen und auf Reisen, Messen, Seminare, Kongresse oder sonst wohin zu schicken, um sie auf andere Gedanken zu bringen. So wie bei Google, wo Angestellte seit jeher nebenbei kickern, flippern, telespielen und sogar 20 Prozent ihrer regulären Arbeitszeit in eigene Projekte investieren dürfen – und dabei so amüsante Dinge geschaffen haben wie etwa den Flugsimulator für GoogleEarth.
Die Harvard-Professorin Teresa Amabile gehört zu den Koryphäen im Bereich der Kreativitätsforschung. Für eine ihrer Studien wertete sie einmal rund 12 000 Tagebucheinträge von 238 Menschen aus, die sich kreativ betätigt hatten. Ihr Fazit: Zeitdruckeignet sich überhaupt nicht, um Büros eine mentale Frischzellenkur zu verpassen. Im Gegenteil: Wer unter Zeitdruck stand, war sogar besonders unkreativ. Der permanente Stress nahm den Leuten jede Gelegenheit, sich mit einem Thema intensiver zu beschäftigen und ihre Ideen reifen zu lassen. Fast noch schlimmer daran aber war: Selbst als sich die Mitarbeiter wieder entspannten, blieben sie unproduktiver als sonst – über mehrere Tage hinweg.
Falls Sie also gerade an der zündenden Idee laborieren und sich bemühen, etwas besonders Originelles auszubrüten, einen pfiffigen Einstieg für Ihre Präsentation heute Nachmittag zum Beispiel: Lassen Sie es! Der Weg zum lichten Moment führt sicher nicht über ein geistiges Martyrium. Vielmehr entsteht Innovation durch eine Art Gärungsprozess: Man nehme ein paar Anregungen, lenke sich ab, spreche mit Kollegen oder Freunden darüber und lasse die (gemeinsamen) Gedanken köcheln, blubbern und sich entfalten. Oder wie es der U S-Psychologe und renommierte Kreativitätsforscher Mihály Csikszentmihályi (gesprochen übrigens: Mihai Tschick-Sent-Mi-Haji) einmal sinngemäß ausgedrückt hat: Kreativität findet nicht im eigenen Kopf statt, sondern durch den Austausch unserer Gedanken mit anderen, weil erst die Gemeinschaft eine Idee als wirklich wertvoll anerkennt.
Sich im Laufe des Tages immer mal wieder eine bewusste Kreativpause zu nehmen, ist notwendig, um die eigene Leistungsfähigkeit zu erhalten. Im Leistungssport ist dieses Prinzip längst als
work-rest-ratio
bekannt. Es besagt, dass auf eine Periode der Aktivität und Anstrengung eine bewusste Auszeit und Ruhephase folgen sollte. In praxi sind sich die Wissenschaftler heute einig, dass der menschliche Organismus seine Leistungskraft wellenförmig erzeugt und abgibt. Diese sogenannten ultradianen Rhythmen sorgen dafür, dass sich energiereiche Zustände mit physiologischen Tälern abwechseln. Signale, dass ein solches Leistungstief naht, sind etwa Konzentrationsstörungen, Gähnen oder plötzliches Hungergefühl. Wer diese Hinweise einfach übergeht oder mit Unmengen Kaffee betäubt, riskiert, seine Kraftreserven über den Tag hinweg völlig aufzubrauchen. Das ist nicht nur ungesund, sondern rächt sich meist schon am nächsten Tag. Da geht dann gar nichts mehr. Zu der Sinnhaftigkeit von regelmäßigen Pausen erzähle ich Ihnen aber am Nachmittag, so gegen 15.00 Uhr, noch mehr.
Überdies ist Kreativität selten das Ergebnis eines einzigen Moments. Wir sprechen zwar gern vom Geistesblitz, aber der tritt genauso flüchtig in Erscheinung wie sein Namensgeber. Die großen innovativen Durchbrüche der Geschichte waren eher die Folgen anhaltender Gedankenkaskaden. Wie zum Beispiel bei Charles Darwin, dessen Sammlung von Beobachtungen und Hypothesen schließlich in seiner epochalen Beschreibung der Evolution mündete. Lassen Sie sich also mit Ihrer Kreation ruhig etwas Zeit, schalten Sie ab, gehen Sie kurz raus in die Natur oder aufs Klo – Hauptsache, weg vom Schreibtisch. Mag
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