Die Burg der flammenden Herzen
Entschuldigung zurückgewiesen hatte, hatte er die Gelegenheit zunichte gemacht, den gemeinsamen Umgangston zu ändern. Und er hatte ihr die Bitte in harter und unmissverständlicher Weise abgeschlagen.
Wenn er ihre Entschuldigung einfach angenommen hätte, wären die endlosen Zwistigkeiten dann beendet gewesen? Er wusste es nicht, doch vielleicht war es noch nicht zu spät.
Es gab nur einen Weg, es herauszufinden. “Beatrice!”
6. KAPITEL
B eatrice zwang sich, nicht länger zu zittern, und ballte die Hände zu Fäusten, als sie den Weg zum Flussufer hinunterlief. Sie wusste nicht, ob sie vor Zorn, Angst oder Schmerz bebte, doch es machte keinen Unterschied. Die Gefühle hatten sich ihrer bemächtigt und zerrten sie mit sich fort, wie eine Flutwelle, die nun die Barrieren einriss, die sie um ihr schutzbedürftiges Herz errichtet hatte.
“Oh, Gott, was soll ich tun?” flüsterte sie. Ihre hart erkämpfte Selbstbeherrschung war dahin.
Sie hatte sich bemüht, Frieden zwischen ihnen zu stiften, aber Sebastian hatte das nicht gewollt. Stattdessen hatte er ihre Bemühungen zunichte gemacht, seinen Zorn zu besänftigen. Wenn er mit ihr keinen Frieden schließen wollte, sah sie keinen Ausweg mehr. Sie würden bis zu ihrem Tode miteinander im Streit liegen.
Als Thomas gestorben war, hatte sie geglaubt, die Mauern ihrer Gefängniszelle seien eingestürzt und hätten sie nach langer Finsternis endlich das Licht des Tages sehen lassen. Es hatte sie nicht gekümmert, wie sie den Rest ihres Lebens verbringen würde, denn sie war froh gewesen, sich von Stund an weder vor Thomas’ Flüchen noch vor seiner drohenden Faust in Acht nehmen zu müssen. Dann, als sie gerade bereit gewesen war, über ihr Leben nachzudenken, war John heimgekehrt, und ein neues Unheil hatte sie eingeholt.
“Beatrice!” rief Sebastian hinter ihr.
Sie wusste, dass sie umkehren müsste – kein Zweifel, er wäre zornig, falls sie es nicht tat –, aber sie konnte nicht stehen bleiben und sich ihm stellen. Nicht, solange sie sich abmühte, ihres inneren Aufruhrs Herr zu werden.
“Beatrice!”
Einige der Männer, die in den Beeten am Flussufer arbeiteten, hoben die Köpfe und starrten in ihre Richtung. Hinter sich vernahm Beatrice eilige Schritte auf dem Pfad. Eine Hand packte sie und wirbelte sie herum.
“Beatrice, hast du …”
Sie zuckte zusammen, zog den Kopf ein und hielt die Arme schützend vor ihr Gesicht. Es geschah unwillkürlich – sie fand nicht die Zeit, darüber nachzudenken.
Sebastian lockerte den Griff, ließ sie indes nicht ganz los. “Beatrice!”
Langsam ließ sie die Arme sinken, ihre Wangen glühten. Warum hatte sie sich so verhalten? Sie wusste doch, dass Thomas tot war und seine sinnlosen Schläge mit ihm ein Ende gefunden hatten. Solange sie im Haus ihres Vaters war, hatte sie nichts zu befürchten. Warum also hatte sie vor Sebastian so viel von sich preisgegeben?
“Hast du geglaubt, ich würde dich schlagen?”
Ihr Herz hämmerte gegen die Rippen, die Atemzüge beschleunigten sich. Sie konnte darüber nicht sprechen, nicht vor Sebastian.
Ich muss mich beherrschen.
“Nein, das habe ich nicht”, keuchte sie und rang nach Atem.
“Ich glaube dir nicht einen Augenblick”, erwiderte er und zog die Brauen zusammen.
Ihr war schwindelig.
“Du bist zusammengezuckt. Ich habe es genau gesehen”, setzte er ruhig nach.
Dunkle Punkte flimmerten vor ihren Augen. Undeutlich sah sie, wie sich Sebastians Lippen bewegten, sie hörte seine Stimme, verstand jedoch nichts. Ich werde ohnmächtig, dachte sie und hielt sich an Sebastians Ärmel fest, um den drohenden Sturz abzuschwächen.
Blitzschnell stützte er sie mit dem freien Arm und zog sie an sich. “Ruhig atmen”, sagte er.
Sie lehnte sich bei ihm an, spürte seinen Unterarm auf ihrem Rücken und den Druck seiner Beine und der Hüfte an ihren Röcken. Seine Nähe hätte in ihr Entsetzen auslösen müssen. Stattdessen beruhigte sich ihr Atem, der Schwindel ließ nach, und ihr Herzschlag verlangsamte sich. Ihr seelischer Aufruhr legte sich, und sie verspürte Wärme und Geborgenheit.
Für einen Augenblick ruhte sie in seinem Arm.
“Beatrice.” Sebastians Stimme war leise und drang so weich an ihre Ohren wie eine zärtliche Berührung.
Sie schaute zu ihm auf und sah seine Augen. Alles um sie herum, der Garten, das Murmeln des Flusses, das Geschwätz der Arbeiter und das laute Auflachen ihres Vaters, trat in den Hintergrund und verlor sich in dem dunklen Blau
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