Die Burg der flammenden Herzen
abwechslungsreichen Landschaft nahe der Burg nahmen ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Sie ritten eine Stunde lang, bis der Himmel sich zuzog. Dann kehrten sie um und versuchten, schneller als der Regen zu sein, doch es gelang ihnen nicht ganz. Die ersten dicken Tropfen platschten auf den gepflasterten Hof, als sie die Pferde in die Obhut der Stallburschen gaben.
In dem geschützten Durchgang hielt Beatrice ihren Bruder am Arm fest, bevor er sich verabschieden konnte. “Danke, John. Ich habe das tatsächlich gebraucht.”
“Es war mir ein Vergnügen. Ich stehe immer zu deinen Diensten.”
Sie sah, dass er lächelte, und erwiderte das Lächeln. “Ich bin froh, dass du wieder daheim bist. Ich habe dich vermisst.”
Sein Lächeln schwand. “Bist du wirklich froh?”
“Wieso nicht?”
“Du und Sebastian … Keiner von euch schien auch nur im Geringsten begeistert zu sein, als ihr erfahren habt, dass ihr einander versprochen seid.”
Seine Bemerkung überraschte sie, und sie zog die Stirn in Falten, als sie nach Worten suchte, die der Wahrheit entsprachen. “Das stimmt, aber du hast keinem von uns geschadet. Du hast uns aus unserer Torheit herausgeholfen. Wenn wir auch alles andere als begeistert waren, so war das nicht dein Verschulden.”
“Dann bin auch ich froh, wieder zu Hause zu sein.”
Als sie die Halle betraten, überbrachte ihr ein Diener die Nachricht, sie möge unverzüglich ihre Mutter in der Kemenate aufsuchen.
“In diesem Aufzug?” fragte sie und deutete auf den verschmutzten Rocksaum, der ein untrügliches Anzeichen für den Ausritt war.
“Ja, Mylady. Sobald Ihr zurück seid.”
Der ernste Gesichtsausdruck des Dieners und die Tatsache, dass ihre Mutter sie sogar in ihrer schmutzigen Kleidung zu sprechen wünschte, riefen ein leichtes Unbehagen in ihr hervor. Ihr Herz schlug schneller. Ohne ein Wort wandte sie sich von dem Diener ab und eilte die Stufen hinauf zur Kemenate.
Ihre Mutter saß mit geschlossenen Augen in ihrem Stuhl und ließ sich von einer Zofe aus einem Buch vorlesen. Beatrice blieb bei diesem friedvollen Anblick zunächst auf der Schwelle stehen. Was mochte denn bloß vorgefallen sein, dass sie in ihrer Reitkleidung zu erscheinen hatte, ihre Mutter aber noch die Ruhe besaß, sich von ihrer Zofe etwas vorlesen zu lassen?
Die Countess öffnete die Augen. “Du bist zurück.”
“Ich habe mich sofort nach meiner Rückkehr zu Euch begeben. So, wie Ihr es von mir erwartet habt.”
Ihre Mutter zog die Stirn in Falten und stieß einen missmutigen Seufzer aus. “Ich wollte dir indes nicht verbieten, dich vorher noch etwas frisch zu machen. Margery, du darfst gehen.”
“Ja, Mylady.”
Während Beatrice den Raum betrat, entfernte sich die Zofe. “Ich dachte, Euch sei etwas Schlimmes widerfahren.”
“Es tut mir Leid, dich verängstigt zu haben, mein Kind. Komm, setz dich zu mir.”
Beruhigt nahm Beatrice auf dem Schemel neben dem Lehnstuhl der Countess Platz und schaute aufmerksam in das Gesicht ihrer Mutter. Im hellen, unbarmherzigen Licht des Nachmittags zeichneten sich die Falten an ihren Augen und die tiefen Furchen neben dem Mund deutlich ab. Dennoch besaß ihre Mutter trotz ihres Alters immer noch eine schöne Gestalt und einen hellen, klaren Blick. Von ihr stammte ihre eigene Schönheit, sie war die Gussform, aus der sie geschaffen worden war.
“Männer haben mich Helena von Troja genannt”, sagte Beatrice und schaute ihrer Mutter unverwandt ins Gesicht. “Haben sie das auch zu Euch gesagt, als Ihr jung wart?”
Ihre Mutter wirkte bei dieser Frage äußerst überrascht. Glaubte sie etwa, Beatrice könne nicht sehen, wie schön sie einst gewesen sein musste?
“Nein, aber man schätzte dennoch meine Schönheit.” Sie schaute ihre Tochter an und nahm ihr Antlitz in Augenschein, als würde sie es zum ersten Mal sehen. “Allerdings denke ich, dass ich nicht so schön war wie du.”
“Wenn ich nicht so schön wäre, hätte mein Leben ganz anders verlaufen können.”
“Aber vielleicht gar nicht so anders, wie du es dir jetzt vorstellst.”
Beatrice erwiderte darauf nichts; aus ihrer eigenen, nutzlosen Bemerkung sprach nichts als Selbstmitleid.
“Warum wünscht Ihr, mich zu sprechen?”
Behutsam strich die Countess ihr mit den Fingerspitzen über die Wange; die Berührung war zärtlich und kaum spürbar. “Darf ich mir nicht wünschen, dich zu sehen?”
Beatrice ergriff die Hand, bevor ihre Mutter sie zurückzog, denn sie wollte sie weiterhin
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