Die Burg der Könige
durch den Kopf. Und es ist nicht das Blut unseres Heilands, kein verwandelter Wein, sondern echtes, sprudelndes Blut.
In der Dämmerung kam ihm das sonst so liebliche Tal, das versteckt zwischen zwei Hügelketten lag, plötzlich fremd und unheimlich vor, wie eine Mördergrube. Sie waren etwa hundert Mann, die hinter niedrigem Gehölz und Weißdornhecken der Befehle ihres Anführers harrten. Der Schäfer-Jockel hatte nicht abgewartet, bis der Haufen aus der Gegend von Dahn und Wilgartswiesen zu ihnen stieß. Mathis vermutete, dass er Fakten schaffen wollte, um den Dahnern klarzumachen, wer in ihrem gemeinsamen Heer das Sagen hatte. Ein Bauernführer, der seinen Verbündeten ein Kloster samt gefüllten Vorratskellern als Heerlager präsentieren konnte, durfte sich zahlreicher Fürsprecher sicher sein.
Mathis blickte nach links und rechts in die entschlossenen Gesichter der Bauern und Knechte, der verrußten Köhler, zerlumpten Schäfer, Viehhirten, Schinder und Müllergesellen; sogar ein paar Annweiler Bürger waren unter den Aufrührern. Als Waffen trugen sie Sensen, Dreschflegel, Spieße, Sicheln und rostige Dolche. Viele von ihnen besaßen nicht einmal Schuhe, sondern nur Lumpen, die sie um ihre Frostbeulen gebunden hatten; ihre ledernen Beinlinge waren zerrissen, die bärtigen Gesichter hager von Hunger und Entbehrung. Mathis machte sich keine Illusionen: Sobald diese Männer auf die wohlbeleibten Mönche mit ihren gefüllten Speisekammern und reichgeschmückten Altären trafen, würde die Gier sie davontreiben wie ein reißender Strom. Zwar hatten Mathis, Ulrich Reichhart, ja selbst der Schäfer-Jockel die Bauern vor allzu zügellosen Ausschreitungen gewarnt – schließlich wollte man das Kloster ja noch als Heerlager nutzen –, aber Mathis musste nur in ihre Augen sehen, um zu wissen, dass dies aussichtslos war.
Es waren die Augen hungriger Wölfe.
Auf einen Pfiff von Jockel hin schwärmte eine Vorhut von etwa einem Dutzend Männer aus und rannte gebückt hinüber zum Torhaus mit seinen zwei massiven eichenen Türflügeln. Das Kloster lag auf einer weiten Rodung und war umgeben von einigen Bauernkaten, deren Bewohner sich teils freiwillig, teils erzwungen dem Aufstand angeschlossen hatten. Die eigentlichen Klosterbauten waren von einer drei Schritt hohen Mauer umgeben, an deren Westseite sich das Torhaus befand. Ein kleiner abgeleiteter Bach floss direkt ins Kloster, etwa dort, wo das flache Dach der Gusswerkstatt hinter der Mauer hervorragte. Einmal mehr beschlichen Mathis Gewissensbisse. Die Mönche hatten ihn auf dem Klostergelände das schwere Geschütz gießen lassen und ihm ihre Öfen zur Verfügung gestellt, und sie waren, genau wie damals, als er beim Glockenguss zugesehen hatte, hilfsbereit und zuvorkommend gewesen. Andererseits hatte Mathis auch gesehen, in welchem Prunk sie lebten, während nur einen Steinwurf weit entfernt Bauernkinder verhungerten.
Es ist, wie es ist , dachte er düster, ich kann es nicht mehr ändern. Ich kann nur versuchen zu verhindern, dass mehr Menschen sterben als unbedingt nötig.
Im Zwielicht sah Mathis nun direkt unter der Mauer einen Bauern, der einen Haken an einem Seil durch die Luft wirbelte. Das Eisen verfing sich im Gemäuer, und vier der Männer begannen lautlos an dem Seil nach oben zu klettern. Sie balancierten die Mauer entlang bis zum Wehrgang oberhalb des Torhauses. Mathis hörte einige dumpfe Geräusche und leise Schreie, dann fiel ein lebloser Körper über die Mauer und blieb am Fuße des Eingangstors liegen. Kurz darauf öffneten sich die schweren Torflügel, und die Bauern, die bislang gespannt im Gehölz gewartet hatten, liefen über frischgesäte Gemüsebeete und brachliegende Äcker auf das Kloster zu.
In diesem Augenblick ertönte vom Torhaus her der schrille Klang einer Glocke, die einige Male schlug, bevor sie abrupt verstummte.
»Verflucht!«, zischte der Schäfer-Jockel, der mit Mathis noch immer hinter der Hecke verharrte. Neben ihnen lauerten seine beiden Leibwachen Paulus und Jannsen und der alte Geschützmeister Reichhart. »Der zweite Torwächter hat noch Alarm geben können!«, schimpfte Jockel. »Ich hab den Dummköpfen hundertmal eingebläut, dass sie den Kerlen sofort die Kehle durchschneiden sollen. Jetzt ist bestimmt gleich das halbe Kloster auf den Beinen!«
Tatsächlich ertönte schon nach kurzer Zeit eine weitere Glocke, von jenseits der Mauer waren nun lautes Geschrei und Kampflärm zu hören. Mathis sprintete los, ohne auf
Weitere Kostenlose Bücher