Die Burg der Könige
und Agnes’ eigener Kampf schien sich dem Ende zu nähern. Während der Reise war die ganze Zeit mindestens einer der Landsknechte bei ihnen, so dass an eine Flucht nicht zu denken war.
Als sie kurz nach Einbruch der Dunkelheit schließlich vor Speyer standen, waren die Stadttore bereits geschlossen. Doch ein harscher Befehl des Grafen reichte aus, sie noch einmal zu öffnen. Misstrauisch beäugten die Wächter die seltsame Gruppe, wagten aber keine weiteren Fragen zu stellen.
Ihr Weg führte sie zunächst zur Bischofspfalz, die links vom Dom lag. Während der Graf mit den Gefangenen und den Landsknechten draußen vor dem herrschaftlichen Gebäude wartete, begab sich Melchior von Tanningen in die bischöfliche Schreibstube. Nach einer Weile kam er zufrieden pfeifend wieder zurück.
»Das Siegel des Kaisers hat in Speyer eben noch Bedeutung«, sagte er und wedelte mit einem schlaffen Beutel in seiner Hand. »Na ja, das Siegel und ein wenig Schweigegeld. Ich habe dem Domdekan erklärt, dass wir im Auftrag Karls V. das Grab seines Vorfahren Rudolf von Habsburg auf Unversehrtheit überprüfen müssen. Das hat er geschluckt. Allerdings sollten wir unsere Suche bis zum Morgengrauen abgeschlossen haben, ehe die ersten Gläubigen zur Frühmesse kommen. Sonst dürfte es einige unangenehme Fragen geben.«
»Wenn wir bis dahin nichts gefunden haben, wird sich vor allem meine Gattin einige unangenehme Fragen anhören müssen«, knurrte der Graf. Er wendete seinen Rappen, und gemeinsam trabten sie zum menschenleeren Platz vor dem Dom, wo sie schließlich am Brunnen abstiegen und die Pferde gegen ein paar Münzen einem ängstlichen Nachtwächter anvertrauten.
Mathis fluchte insgeheim. Er hatte gehofft, sie würden noch eine weitere Nacht in irgendeinem Speyerer Gasthaus verbringen, wo ihm mit Agnes vielleicht doch noch die Flucht gelungen wäre. Aber nun sah es ganz so aus, als blieben ihnen nur noch einige wenige Stunden.
Die Sonne war schon lange untergegangen, und auf der breiten Marktstraße war es still und menschenleer. Gelegentlich war von fern das betrunkene Singen von Zechern zu hören, nur noch hinter wenigen Fenstern der benachbarten Fachwerkhäuser brannten Lichter. Melchior von Tanningen zog einen kupfernen Schlüssel hervor, den ihm der Dekan zuvor anvertraut hatte, schritt auf den Dom zu und öffnete das große Westportal. Bevor er eintrat, blickte Mathis noch einmal hinauf zu den Türmen, die auf halber Höhe in Nebelschwaden getaucht waren. Er fragte sich, ob es das letzte Mal war, dass er den Himmel sah. Dann schloss sich krachend die Tür, und Melchior verriegelte sie hinter ihnen.
»Vertrau mir!«, flüsterte Mathis Agnes im Vorübergehen zu. Er wollte sie beruhigen, doch seine Stimme zitterte. »Wenn die Hunde einen Moment lang nicht hinsehen, steche ich den Erstbesten ab, und wir finden in der Dunkelheit des Doms ein Versteck. Hier gibt es so viele Nischen und Altäre, da suchen sie uns bis zum Morgengrauen.«
Vorsichtig blickte sich Mathis in dem stark nach Weihrauch riechenden Mittelschiff um, das mit seinen vielen Säulen einem düsteren Wald glich. Nur wenig Mondlicht fiel durch die hohen Fenster. In den beiden Seitenschiffen standen auf Altären die in Schmerzen verdrehten Statuen von Märtyrern, die in der Finsternis beinahe zu leben schienen. Mathis fröstelte. Trotz der warmen Sommernacht war es im Dom kühl wie in einem Grab.
Er ist ja auch ein Grab , dachte er düster, nämlich schon bald das von Agnes und mir. Aber bei Gott, wir werden nicht die Einzigen sein, die dieses Gebäude nicht mehr lebend verlassen.
»Mathis, das ist Wahnsinn«, erwiderte Agnes leise, ganz so, als hätte sie seinen Blick gedeutet. »Sie sind zu fünft! Hast du das vergessen?«
»Das ist mir egal. Lieber …«
»He, hier wird nicht getuschelt«, brummte einer der Landsknechte und gab Mathis einen Stoß, so dass er nach vorne taumelte. Es war der Mann mit der wulstigen Narbe im Gesicht. Mittlerweile wusste Mathis, dass er Roland hieß und die rechte Hand des Grafen war. Er war breit gebaut und trug einen abgewetzten Lederharnisch. Seine kleinen, tief in den Höhlen liegenden Augen hatten Agnes in den letzten beiden Tagen immer wieder wie mit Fingern abgetastet. Die beiden anderen Kerle, die auf die Namen Hans und Marten hörten, waren junge sehnige Burschen, die Agnes auch jetzt wieder ausdruckslos musterten. Mathis wurde übel.
Wenn Friedrich mit ihr fertig ist, werden die drei sie vermutlich vergewaltigen und
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