Die Burg
der ganzen Zeit keinerlei Veränderung gezeigt hatte. Hornung und sein damaliger Oberarzt waren zu dem Schluss gekommen, dass der Mann nach wie vor hochgradig gefährlich war, und hatten ein Gutachten erstellt, das die Rückführung in Haft und anschließende Sicherungsverwahrung empfahl. Nur kurze Zeit später war ein externer Gutachter zu einem völlig anderen Urteil gekommen, und der Täter war bedingt auf Bewährung entlassen worden. Der Mann lebte im Ruhrgebiet. Er hatte sowohl Hornung als auch den Arzt am Telefon zweimal mit dem Tod bedroht – vor vier Jahren.
Bei den beiden anderen Fällen ging es um Gewaltstraftäter, die zu dem Zeitpunkt, als sie zu Hornung in die Klinik kamen, noch unter das Jugendstrafrecht gefallen waren. Beide Fälle ähnelten in ihrem Verlauf dem ersten. Externe Gutachter waren Hornungs Empfehlungen nicht gefolgt, und die jungen Männer waren auf Bewährung freigekommen. Der letzte der beiden Fälle lag noch keine drei Monate zurück. Toppe spürte, wie sein Herz anfing zu stolpern – drei schnelle Schläge, eine Pause, wieder kurze Schläge, Blubbern, als strömte Sprudelwasser durch seine Herzgefäße. Er schaltete die Warnblinkanlage ein und fuhr an den Straßenrand, öffnete das Fenster und versuchte, ruhig und tief zu atmen. Er schlief einfach zu wenig.
Peter Cox schob die Akte beiseite, zog den Zettel mit der Handynummer aus der Hosentasche und wählte. Jemand antwortete, aber er verstand kein Wort.
«Penny?»
«Bist du das, Peter?»
«Ja, ich bin’s. Ich habe eben gehört, dass Helmut die letzte Teamsitzung für 19.30 Uhr angesetzt hat. Du bist doch dabei, oder?»
«Klar, ich weiß schon Bescheid.»
«Dann könnten wir wohl gegen zehn fertig sein, schätze ich.»
«Jaa …»
«Ich fände es schön, wenn wir hinterher zusammen sein könnten, bei mir, meine ich.»
«Das fände ich auch schön.»
«Eigentlich würde ich gern etwas für dich kochen, aber …»
«Hast du eine Fritteuse?»
«Ja, hab ich.»
«Wie sieht es aus mit Kartoffeln, Mehl, Eiern, Erbsen und Butter?»
«Kartoffeln und Mehl, ja, Eier und Butter auch, aber Erbsen … nein.»
«Das macht nichts. Ich bin gerade in einem Café. Gleich gegenüber ist ein Fischladen, der hat auch Gemüse. Pass auf, ich koche, und zwar Fish ’n Chips und Mushy Peas.»
«Und was?»
«Mushy Peas, eine Spezialität aus Yorkshire, Erbsenbrei.»
«Hört sich toll an …»
Sie lachte. «Ich freue mich schon.»
Vor dem Fischladen lief sie fast in einen Bekannten hinein.
«Oliver, du bist ja doch hier! Ich hab dich im Lager gar nicht gesehen.»
«Hi, Penny.» Er lächelte. «Tja, eigentlich wollte Chris mich mitnehmen, aber dann musste ich über Ostern arbeiten. Ich bin erst gestern angekommen.»
«Du hast mal hier gewohnt, nicht?»
«Ja», nickte er, «und jetzt besuche ich alte Freunde.» Er drückte ihr kurz die Schulter. «Man sieht sich. Spätestens beim Junicamp in der Commandery.»
Sie winkte ihm nach. «Kabeljau?», überlegte sie. «Oder doch lieber Rotbarsch?»
«Ich bin bis jetzt nur auf eine einzige brauchbare Spur gestoßen», berichtete Astrid, «und zwar die Kindesmisshandlung, die Toni 1998 angezeigt hat. Das Opfer war ein siebenjähriges Mädchen, Pia Heiligers. Die Sache ist tatsächlich vor Gericht gekommen. Verdächtig war der Stiefvater der Kleinen. Der Mann ist aus Mangel an Beweisen freigesprochen worden. Er hat allerdings infolge des Verfahrens seinen Job verloren, und seine Frau hat sich von ihm scheiden lassen. Mit ihr habe ich heute Nachmittag gesprochen. Er sei aus Emmerich weggezogen, und sie sagt, sie hat keinen Kontakt mehr zu ihm. Ich habe ihn bis jetzt noch nicht ausfindig machen können.»
«Mir ist es ähnlich ergangen», sagte Bernie Schnittges und erzählte von dem orthopädischen Schuh. «Lahms Adresse stimmt nicht mehr. Er hat sein Haus verkauft. Aber mittlerweile weiß ich, dass er in der Kleiststraße wohnt. Ich will ihn mir gleich morgen früh vorknöpfen.»
«Und ich fahre morgen in Tonis Praxis», schloss Astrid, «und spreche mit seinem Partner. Vielleicht ist dort ja etwas vorgefallen.»
Für sechs Leute war Cox’ Büro viel zu klein, und die Luft war schnell verbraucht. Astrid stand auf und öffnete die Tür, außer ihnen war sowieso niemand mehr in diesem Stockwerk.
Penny Small, die auf einem Klappstuhl neben dem Aktenschrank saß, nickte dankbar und schaute dann Toppe an. «Chris Kingsleys Festplatte ist sauber, da sind sich meine Kollegen zu Hause
Weitere Kostenlose Bücher