Die Burg
wartete, bis sie sich gesetzt hatten. «Du hattest den Tee doch schon vorbereitet, Renate», sagte er, ohne sich zu ihr umzusehen.
Die Mutter huschte wortlos hinaus.
«Ihr Sohn Oliver ist also nicht hier?», begann Cox.
«Nein, aber das habe ich Ihnen bereits am Telefon berichtet.»
Die Frau kam zurück, stellte ein Tablett auf den Tisch und verteilte Teetassen aus rosafarbenem Porzellan. Unschlüssig hielt sie die letzte Tasse in der Hand, bis ihr Mann sich schließlich auch hingesetzt hatte.
«Wann haben Sie Oliver zum letzten Mal gesehen?», fragte Cox.
«Das ist eine Weile her. Renate?»
Ihre Hand zitterte, als sie die Teekanne hochnahm. «Oh, na ja, ich weiß nicht. Sind es jetzt acht oder neun Jahre, Liebling?»
«Oliver ist Ihr einziges Kind?»
Harris umfasste mit beiden Händen die Tischkante. «Worum geht es eigentlich?»
«Das will ich Ihnen gern sagen.» Penny schaltete auf Englisch um und erzählte von dem Bombenattentat.
«Und was hat Oliver damit zu tun?», fragte Harris kalt, aber in seinen Augenwinkeln blitzte ein hässliches Grinsen auf.
Die Mutter stieß ihren Stuhl zurück, ihre Teetasse flog über den halben Tisch. Sie presste sich die Faust in den Mund und stürzte hinaus. Cox folgte ihr langsam. Sie stand im Flur an der Garderobe, hatte ihr Gesicht in einem braunen Wollmantel vergraben und weinte.
Er berührte vorsichtig ihren Rücken. «Frau Harris?» Sie wurde ganz steif. «Was ist passiert, Frau Harris? Was wissen Sie über diese Geschichte?»
Abrupt wandte sie ihm das Gesicht zu und starrte ihn verständnislos an. «Er ist ein lieber Junge», flüsterte sie. «Oliver ist ein lieber Junge.»
«Wann haben Sie zuletzt von ihm gehört?»
«Aber er war natürlich auch schwierig», leierte sie weiter, «wie Jungen eben so sind, gerade in der Pubertät. Das verstehen Sie doch, nicht wahr? Und mein Mann … schon allein durch seinen Beruf, ist doch verständlich …»
Sie fing wieder an zu weinen.
Cox fasste sie bei den Armen. «Frau Harris, wann haben Sie das letzte Mal Kontakt zu Oliver gehabt?»
Sie schluckte und antwortete dann mit fester Stimme: «Am 27. September 1997. Wir waren gerade hier eingezogen. Er kam am Nachmittag, weil er Unterstützung brauchte, aber …» Sie schaute an ihm vorbei. «Ich weiß noch nicht einmal, wo er wohnt. Ich weiß nichts.»
Er brauchte einen Fick.
Irgendeine Schlampe, der das Geld in der Möse klimperte – Hauptsache große, weiche Titten. Oder irgendeinen Stricher mit Knackarsch. Irgendwer, egal.
Jemandem die Klauen ins Fleisch schlagen, den Mund zerbeißen, Blut und Schweiß und Pisse.
Chris’ Mund war weich – Thorstens Mund –, seine Haut milchweiß.
Chris gehörte ihm.
Aber dann fährt er in diese verfluchte Stadt.
«Hey, das wird ein tolles Lager, du. Die Leute sind echt nett. Wir mussten sogar der Zeitung ein Interview geben, wie der Sturm auf die Burg ablaufen soll und so. Hier, kannst du mir den Artikel übersetzen?»
Die Klever Zeitung, das Foto, Chris und John.
In der Mitte das Schwein.
Er kann nicht mehr atmen, er sieht nichts mehr.
Chris lacht, legt einen Finger auf das Schweinegrinsen. «Er hier, der organisiert das Lager, ein unheimlich netter Typ, total sozial eingestellt, arbeitet mit Jugendlichen. Wir haben die Nächte durchgequatscht. Im Sommer kommt er für ein paar Wochen rüber. Ich hab ihm gesagt, er kann bei mir wohnen. Bis dahin werde ich Matthew schon irgendwie los. Du wirst ihn auch mögen, ehrlich. Was hast du denn?»
Er kann nicht sprechen, kotzt sich auf die Schuhe.
Er brauchte einen Fick.
Toppe stützte den Kopf in beide Hände.
1995, mit neunzehn Jahren, war Harris in Deutschland gewesen. Irgendwann musste er nach England zurückgekehrt sein – Arbeit in einem Militärmuseum – tätlicher Angriff – potentiell gewalttätig. Er sah die breiten Narben an den Handgelenken wieder vor sich und schauderte. Seit vierzehn Tagen hatte ihn in England niemand mehr gesehen. Er war hier, und er würde es wieder versuchen.
Toppe griff zum Telefon und rief auf der Wache an. «Ich brauche eine Liste aller Hotels und sonstiger Unterkünfte in Kleve und Umgebung. Haben wir so etwas?»
«Klar, ich bringe sie gleich hoch, wollte sowieso zu dir. Wir haben die Karre von dem Engländer gefunden.»
«Das ging aber schnell.»
«War kein großes Kunststück. Stand auf dem Parkplatz von der Euregio am Haus Schmitthausen. Durch die Woche ist er nicht aufgefallen, dort stehen immer Wagen mit
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