Die Buße - Gardiner, M: Buße - The Liar's Lullaby
irgendwas. Und Vaseline. Gleitmittel.« Sie presste weiter gegen die Brust. »Draußen im Gang war ein Tablett. Wenn zufällig Frischhaltefolie draufliegt, bringen Sie sie mir. Schnell.«
Lecroix’ Lippen bewegten sich. »Schmerzen.«
»Ich weiß. Schauen Sie mir in die Augen.«
In der Tür tauchte ein Polizist in Uniform auf. »Die Sanitäter sind unten.«
Jo drehte den Kopf. »Helfen Sie Lieutenant Tang. Sie ist im Treppenhaus. Die Angreiferin ist mit einem Messer bewaffnet und extrem gefährlich.«
Der Cop zog seine Waffe und verschwand.
Lecroix spuckte etwas aus, das nach einem Wort klang.
Jo lehnte sich tief über sein Gesicht. »Was?«
»Pistole …«
Schockiert fixierte sie ihn. »Pistole?«
»Sie.«
»Wer - Petty? Die Frau, die auf Sie eingestochen hat?«...
Seine Worte waren kaum mehr als ein Hauch. »Meine genommen.«
»Sie hat Ihre Pistole genommen? Sie hatten eine Pistole?«
Er blinzelte.
Da fiel ihr ein, dass er ihr davon erzählt hatte. Wenn ich auf Tour bin, hab ich guten Schutz dabei.
»Hey, Officer«, brüllte Jo. »Die Täterin hat eine Pistole.«
Der Anzugträger in der Tür wirkte wie erstarrt. Plötzlich legte er die Hand ans Ohr und stürzte aus dem Zimmer, das Walkie-Talkie am Gesicht.
»Sagen Sie es den Cops«, rief Jo, doch die Tür war schon leer.
Lecroix zitterte. Sosehr sie auch auf seine Wunden drückte, sie spürte, wie unter ihren Fingern sein Leben zerrann.
Zwei Sicherheitsmänner eilten jetzt herein und warfen Sachen aus dem Bad und vom Tablett auf den Teppichboden. Mit einer Hand faltete Jo ein Knäuel Frischhaltefolie auseinander, beschmierte sie mit Vaseline und presste sie auf Lecroix’ Brustverletzung, damit keine Luft mehr aus seiner Lunge strömte.
Ein Sicherheitsmitarbeiter sagte: »Auf dem Tablett war ein Teller mit Steak, aber kein Steakmesser.«
Sie schielte zur Tür. Hatte irgendjemand Tang gewarnt, dass Petty mit einer Pistole bewaffnet war? Alles war ein einziges Chaos, möglicherweise hatte die Nachricht sie nicht erreicht. Jo musste unbedingt dafür sorgen, dass Tang es erfuhr.
Sie drückte weiter auf Lecroix’ Wunden, um die Blutung zu verlangsamen. Mehr konnte sie nicht tun.
Vor seinem Mund stand blutiger Schaum. »Angst.«
Tief in seinen Augen spiegelte sich seine Begegnung mit dem Unabänderlichen. Er wusste es. Er schwebte zwischen Leben und Tod. Nur ein leiser Atemzug fehlte, und er würde die Schwelle überschreiten.
Allmählich fürchtete sie ernsthaft, dass der Countrysänger nicht durchkommen würde. Als Assistenzärztin hatte sie auch in der Notfallmedizin gearbeitet. Bei Verletzungen dieser Schwere stieß sogar eine voll ausgestattete Notaufnahme an ihre Grenzen. Mit dem Versuch, ihn noch lebend in den Unfallwagen zu bringen, stand den Sanitätern eine schier unlösbare Aufgabe bevor.
Er legte seine Hand auf die ihre. Sie war kalt und klebrig vom Blut. Seine Augen baten darum, ihm zu sagen, was er hören wollte. Baten um das Wort Leben.
Sie konnte es nicht aussprechen. Gar nichts konnte sie tun.
Nein, das stimmte nicht. Als sie schluckte, spürte sie ihre trockene Kehle. »Wenn ich den Text von ›Amazing Grace‹ aufsage, können Sie ihn im Kopf mitsingen?«
Er blinzelte.
»Vier Strophen, dann sind die Sanitäter da.«
Aber Lecroix wohl nicht mehr.
»Amazing grace«, begann sie zitternd. »How sweet the sound.«
Während sie die Hände auf seine Wunden presste, zwang sie sich mit äußerster Willensanstrengung, Worte der Gnade und Hoffnung zu rezitieren.
»I once was lost, but now I am found.« Sie brachte kaum mehr als ein Flüstern heraus.
In seinem Augenwinkel bildete sich eine Träne.
»Was blind, but now I see.«
Sie hörte das Ping des Aufzugs. Das mussten die Rettungskräfte sein. Bitte beeilt euch. Sie konnte Lecroix nicht allein lassen.
Seine Hände zitterten. Sie sah nicht auf, wandte den Blick nicht von ihm ab. Beugte sich nah zu ihm. Zweite Strophe - wie lautete der Text? Egal, dann eben irgendeine.
»Through many dangers, toils and snares, I have already come.«
Lecroix’ Lippen bewegten sich.
Was kam als Nächstes, verdammt? Die Sanitäter stürzten herein, begleitet von einem Polizisten. Sie eilten zu Lecroix.
»Mehrere Stichwunden«, erklärte Jo. »Vor fünf Minuten. Offenbar Leberverletzung, wahrscheinlich Lebervene getroffen. Pneumothorax und offene Brustverletzung. Fehlende Sauerstoffversorgung. Puls hundertsiebzig, unregelmäßig. War die ganze Zeit bei Bewusstsein.«
Ein Sanitäter
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