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Die Cassini-Division

Die Cassini-Division

Titel: Die Cassini-Division Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
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nächsten standen, war
von Reid als nicht minder hohl entlarvt worden. Es hatte keinen
Sinn, sie zu quälen, verschaffte keine Genugtuung, sie zu
bestrafen, denn mit diesen Wesen hatte ich nicht einmal so viel
gemein, um mich an ihren Schmerzen zu weiden, wenn sie denn
überhaupt Schmerz empfanden. Es wäre ebenso sinnlos
gewesen, als trampelte man auf einer widerspenstigen Maschine
herum.
    Es gab nur eine Abschreckung, eine Verteidigung, eine Art der
Rache für mich, und die bestand darin, sie in das gleiche
Nichts zu schicken, in das meine Eltern und so viele andere
Eingang gefunden hatten: und dies war der ewige Tod ohne die
Hoffnung auf Wiederauferstehung. Nichts, was ich jetzt sagte oder
tat, durfte dieses Ziel gefährden.
    Ich lächelte Reid an. »Sie haben natürlich
Recht«, sagte ich. »Das ist bloß eine
Phantasie, nicht wahr? Wenn man sie ausspricht oder wenn man die
Möglichkeit hat, sie in die Tat umzusetzen, wird einem auf
einmal klar, wie aufgeblasen und kindisch sie im Grunde
ist.«
    »Also, das verstehe ich gut«, sagte er. »Ich
weiß, wie Sie sich fühlen.« Er fasste mich beim
Unterarm. »Kommen Sie. In wenigen Minuten wird es hier von
Reportern nur so wimmeln, und Sie werden mit ihnen reden
müssen. Wenn Sie das hinter sich haben, sind Sie alle
eingeladen, sich die Stadt anzusehen.«
    »Ja«, sagte ich. »Darauf freue ich
mich.« Mir zitterten die Knie. Reid bemerkte es und
führte mich zu einem Stuhl. Er zwinkerte Talgarth und den
beiden Frauen zu, worauf sie sich wieder unter die Leute
mischten. Reid nahm neben mir Platz, schraubte ein silbernes
Fläschchen auf, das er an der Hüfte trug, und reichte
es mir. Ich kostete von dem scharfen Zeug, dann reichte ich es
zurück.
    »Das ist nicht mehr das Gleiche wie früher«,
meinte Reid bedauernd. »Ich hoffe doch, Ihr versteht es
noch, Single Malt zu destillieren.«
    Ich musste unwillkürlich lächeln. Trotz seines Rufs,
ein skrupelloser Mann zu sein, verstand er es mit seiner
entwaffnenden Art, eine behagliche Atmosphäre zu
schaffen.
    »Da müssen Sie mal die Japaner fragen«,
antwortete ich.
    »Ach, Gott«, meinte er und trank noch einen
Schluck. »Und bei Ihnen gibt es wirklich kein Geld? Was
benutzen Sie stattdessen – Computer?«
    »Ja«, antwortete ich stolz. »Wir planen
nicht viel, aber das bisschen Planung, das sich nicht umgehen
lässt, erledigen die Computer. Die größten, die
es gibt.«
    Reid legte den Kopf in den Nacken und lachte zum Himmel empor,
sodass ihm die vorübergehende Bedrückung entging, mit
der ich mich an den Hauptgrund erinnerte, weshalb unsere
wichtigsten Computer aus Messing und Stahl bestanden und aussahen
wie historische Dampfloks – unbestechliche Rechenmaschinen,
die nichts und niemand beirren konnte.
    *
    Man schreibt das Jahr 2098. Unter mir treibt eine Stadt
vorbei, deren alte Türme aus Beton und Glas von erst
kürzlich in Nanobauweise errichteten Nadeln
überschattet werden und die umgeben sind von der
Barackensiedlung, die es schon vorher gab und welche die
Hochhäuser, die aus dem Boden geschossen sind wie Pilze aus
feuchtem, dunklem Erdreich, überdauern wird. Noch hinter den
Baracken liegt das saftige Grün des Waldes, durchzogen von
den graubraunen Narben der Straßen; und noch weiter in die
Höhe als die Türme reichen die sich vervielfachenden
Säulen öligen Qualms.
    Der Qualm rührt von Unfällen her. Hier brennt ein
Turm vom zwanzigsten Stockwerk aufwärts, wo ein Helikopter
klebt wie ein Insekt an der Windschutzscheibe; der Verkehr ist
nach zahllosen Zusammenstößen zusammengebrochen; dort
ist ein Linienflugzeug vom Himmel gefallen und hat mehrere Hektar
voller Holzbaracken in Brand gesetzt.
    Ich schwebe auf dem Telemetrie-Deck der Station, und das
unbemannte Frachtluftschiff schwebt über Lagos und
überträgt Bilder seiner Überwachungskameras, an
denen ich sowieso nichts ändern kann. Dies war bis vor
wenigen Stunden eine erfolgreiche Stadt. Die von den Seuchen des
zwanzigsten Jahrhunderts mehrfach dezimierten Afrikaner sind
nahezu immun gegen die letzte große Seuche des
einundzwanzigsten. Sie haben den Grünen Tod überlebt
und sich sogar mit den europäischen Flüchtlingsmassen
abgefunden, welche die Slums verstopfen und um die Türme
herumwimmeln. Sie verfügen noch über Öl und
funktionierende Computernetzwerke. Ihre Zivilisation ist immer
noch im Aufstieg begriffen und nicht im Niedergang.
    Bis jetzt.
    Die Computer

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