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Die Cassini-Division

Die Cassini-Division

Titel: Die Cassini-Division Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
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gabelten
wir jeweils einen Luftschiffer auf.
    *
    Früh am nächsten Morgen suchten wir unabhängig
voneinander das Zimmer auf, das wir nach dem Abendessen nicht
wieder betreten hatten, packten unsere Sachen und
frühstückten im großen Saal. Bei Tageslicht
wirkten die Wandgemälde geisterhaft fahl und eher naiv als
heroisch. Durch das Dachglas fiel heller, warmer Sonnenschein.
Suze breitete eine Karte aus.
    »Also«, sagte sie, »wo wollen wir heute
hin?«
    »Unser Freund lebt gegenwärtig in Ealing
Forest«, meinte ich. »Ich habe so etwas wie eine
Adresse. Er hält sich an einer Technischen Hochschule der
NiKos auf und stöbert auf Flohmärkten nach alten
Büchern und Elektrogeräten.«
    »Kein Problem«, sagte Suze. »Wir fahren
über die Hauptstraße nach Camden Market, stellen den
Wagen im Unionsdepot ab, fahren mit dem Boot über den Kanal
zum North Circular« – sie deutete auf eine
Straße, fuhr mit dem Finger einer weiteren dünnen
Linie nach – »und dann weiter nach Ealing.«
    »Bist du sicher, dass es über den Kanal am
schnellsten geht?«
    Suze nickte energisch. »Die Straßen werden von
NiKos unterhalten, und dementsprechend ist ihr Zustand. Die
Wasserstraßen gehören uns. Unionsmaschinen baggern sie
aus und bedienen die Schleusen.«
    »Wie das?«
    Sie zuckte die Achseln. »Auf diese Weise bleiben wir
unauffällig präsent. Und sollten wir unsere
Präsenz jemals verstärken müssen, haben die
Kanäle den großen Vorteil, dass sie den besten Zugang
zu dem Gebiet bieten, zumal wenn man Hovercrafts
einsetzt.«
    »Hm«, machte ich. »Ich frage mich, ob wir
uns irgendwo ein Hovercraft leihen könnten.«
    »Zu laut. Die Touristen mögen das nicht, und die
Einheimischen fühlen sich dadurch
eingeschüchtert.«
    Am Fahrzeug-Pool wählten wir einen robusten, flachen
Buggy mit Rädern, der der Beschreibung nach mit
Schlaglöchern und Baumwurzeln bestens zurechtkommen
würde. Die Bedienung war ganz normal, doch ich misstraute
unter Schwerkraftbedingungen meinen Reflexen, deshalb
übernahm Suze das Steuer. Wir fuhren über eine lange,
kurvenreiche Straße zum Südausgang und passierten eine
aufdringliche Menschenmenge (für mich eine neue,
beunruhigende Erfahrung; für Suze waren dies:
»Bloß Bettler und Hausierer; man gewöhnt sich
dran.«), dann ging es einen Hügel hoch und wieder
hinab in die Waldwildnis.
    *
    Der kompakte Elektromotor war leise. Wie wir so im Schatten
hoher, tropfender Eichen und Ulmen (in der Nacht hatte es
geregnet) über die aufgeweichten Wege fuhren, vernahmen wir
unablässig Vogelgezwitscher und hin und wieder Wolfsgeheul,
das Gebell eines Fuchses oder das ferne, unheimliche
brüllende Gelächter der Gibbons. Turmfalken schwebten
hoch über den Waldwegen. Ringeltauben gurrten im Gezweig,
und hin und wieder sauste vor uns ein bunter Sittich vorbei.
    Ein-, zweimal sprang ein kleiner Hirsch auf den Weg, warf
einen Blick auf uns und flüchtete unter erstaunlich lautem
Hufgetrappel.
    Die meisten Ruinen beiderseits des Weges waren von Efeu
überwuchert, dessen grüne Ranken das bröcklige
Mauerwerk allmählich wieder ins Erdreich hinabzogen. Einige
Hauswände waren jedoch offenbar erst kürzlich
ausgebessert worden; mit Lehm und Flechtwerk oder mit Backsteinen
von anderen Ruinen hatte man die Löcher verschlossen und
– nachdem das oberste oder die obersten Stockwerke
abgetragen worden waren – neue Dachstühle gezimmert
und mit Stroh gedeckt. Es gab Lichtungen, auf denen man aus
recyceltem Material ganze Dörfer errichtet hatte, ohne dass
von den ursprünglichen Gebäuden noch eine Spur
zurückgeblieben wäre. Nach einer Weile gewöhnten
wir uns an, immer dann, wenn wir Rauchfahnen sahen, abzubremsen
und nach Hühnern, Schweinen, bellenden Hunden und
umhertollenden Kindern Ausschau zu halten. Die Erwachsenen
reagierten teils neutral bis abweisend, teils ausgesprochen
servil; Letztere bemühten sich lautstark, uns auf die Waren
aufmerksam zu machen, die auf schreiend bunten Reklametafeln
abgebildet oder beschrieben waren.
    Ich stellte Suze eine Frage, die mir in den Sinn gekommen war,
als ich alte politische Landkarten mit aktuellen geographischen
verglichen hatte: Dabei hatte ich den Eindruck gewonnen, die
gegenwärtigen Siedlungen seien vielleicht die
Überbleibsel alter Gemeinschaften: hier christliche
Fundamentalisten, um Alexandra Port herum anarchistische
Stämme, in den schiefen Hochhäusern am Fluss

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