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Die Cassini-Division

Die Cassini-Division

Titel: Die Cassini-Division Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
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Universum.«
    »Meine Rede.« Ich deute ebenfalls aufs Fenster,
das jetzt der Indische Ozean ausfüllt. »Und die Erde
ist ein Teil davon. Du möchtest in einer virtuellen
Realität leben.«
    »Nicht ausschließlich.« Er lächelt,
bleckt seine schlechten Zähne. »Wir werden der
Außenwelt eine Menge Beachtung schenken – da
führt kein Weg dran vorbei, wenn wir die ganze dumme Masse
in intelligente Materie umwandeln wollen. In Materie, die denkt
und träumt. Eine Welt voller Wunder, in der man alles
Mögliche sein kann, nicht bloß das, was einem der
Zufall und die Gene vorschreiben.«
    »Ich will nicht, dass das Universum in einen riesigen
Computer umgewandelt wird, auf dem virtuelle Realitäten
laufen«, sage ich. »Und nenn mich nicht
›Kommi-Altruist‹. Es geht um ein ganz normales
menschliches Gefühl. Ich möchte einfach nicht, dass die
Menschen leiden, deshalb wäre es höchst uneigennützig von mir, wenn ich tatenlos zuschauen
würde, wie zehn Milliarden Menschen ins Verderben
stolpern.«
    »Du brauchst ihnen nicht dabei zuzuschauen«, sagt
er mit unerträglicher Dreistigkeit. »Du kannst sie
auch einfach löschen. Übrigens sind sie selbst
schuld an ihren Problemen. Weshalb solltest du sie dir zu eigen
machen?«
    »Weil sie mir nicht gleichgültig sind, und wenn das
altruistisch klingt, betrachte es mal so: ich bin so
eigensüchtig, dass ich mir wünsche, die Prinzessin der
Galaxis zu sein! Okay – notfalls wäre ich auch damit
zufrieden, ewig in einem galaktischen Imperium zu leben. Ich
persönlich wünsche mir ein Universum, das mit Menschen
bevölkert ist, denen es gut geht.«
    Ich deute auf dem Wrackdeck umher, um zu unterstreichen, was
ich meine.
    »Menschen!«, schnaubt er. »Wo bleibt dein
Ehrgeiz? Da gibt es Besseres.«
    »Du willst eine Maschine sein.« Ich schlucke einen
Bierschwall. »Ich nicht.«
    Er zuckt die Achseln. »Wenn du im Weltraum leben
möchtest, bist du als Maschine besser dran wie als Beutel
voller Meereswasser. Der menschliche Körper ist im
Wesentlichen ein Raumanzug für einen Fisch. Maschinen sind
im Universum zu Hause.«
    Ich grinse ihn so breit und freundlich an, dass er glaubt, ich
mag ihn, und kontere mit einem Zitat aus einer alten Dystopie,
die sich in meiner Jugend großer Beliebtheit erfreute: This Perfect Day von Ira Levin. (Nicht, dass die Gefahr
dieses oder eines anderen vollkommenen Tages bestanden
hätte, aber das Buch hat mich tief berührt.)
    »›Maschinen sind im Universum zu Hause. Menschen
sind darin Fremde.‹«
    Er erwidert mein Lächeln, glaubt immer noch, ich
würde ihm zustimmen. Das schale Bier inspiriert mich zu
einem trunkenen Monolog: »Fremde in einem fremden Land.
Marx hat sich geirrt – wir wurden nicht unserer
Menschlichkeit entfremdet, sondern die Entfremdung ist Menschlichkeit. Wir waren schon immer dazu fähig, uns zu
distanzieren und unser Handeln sozusagen von außen zu
betrachten – wir haben ein Außen und ein Innen, und das ist ebenso grenzenlos wie der Weltraum.
Kein Turing-Test kommt dem nahe, ganz gleich wie gut er sich
darauf versteht, einen Organismus nachzuahmen. Maschinen rechnen:
Menschen zählen. Maschinen haben Programme; Menschen haben
Absichten.« Ich halte inne, starre ihn an und nehme noch
einen Schwall Bier. »So.«
    »Menschen sind auch bloß Maschinen«, sagt
er. »Außerdem werden die Maschinen alles können,
was wir können, wenn wir erst einmal unser Bewusstsein auf
sie übertragen haben.«
    »So nennst du das also. Sein Gehirn Schicht um Schicht
aufzulösen und es einem Rechner aufzuprägen, das
bezeichne ich als Sterben.«
    »Ich nenne das Transzendenz«, erwidert er und
klopft sich an die Brust, was ihn beinahe in Rotation versetzt
hätte. »Das ist Sterben. ›Das Fleisch
ist Mord.‹«
    »Klar«, meinte ich giftig. »Wenn ich deinen Körper hätte, würde ich mir auch
wünschen, etwas anderes zu sein.«
    Er fasst dies nicht als die vernichtende Abweisung auf, als
die es gemeint ist. »Ja«, meint er lächelnd.
»Vielleicht modelliere ich meinen virtuellen Körper
beim Upload nach deinem Vorbild.«
    Ich werde vom Fernsehschirm am Ende der Bar abgelenkt, auf dem
die Gesichter meiner Eltern aufgetaucht sind, die in einer mir
unverständlichen Sprache lächelnd und beruhigend auf
mich einreden. Ihre zuckenden toten, aber galvanisierten
Körper schweben vor dem Bildschirm, mit Schläuchen
verbunden, die ihnen das Gehirn aussaugen. »Auf

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