Die Cassini-Division
ein lang
gestrecktes, aus Raumschiffen und Habitaten zusammengebasteltes
Gebilde sah, das in rasendem Tempo um die eigene Achse rotierte
und gefährlich dicht am Plasmajet entlangflog. Und dann
wechselte die Perspektive, und man sah von dem
zusammengestoppelten Raumschiff aus den weißglühenden
Strahl vorbeischwirren. Die Aufnahme endete mit einer Eruptionvon
blauem Licht.
»Tscherenkow-Strahlung«, sagte ich. »Sie
haben das Wurmloch passiert – beziehungsweise einen Ableger
davon, ein Tochterwurmloch – und, wie wir inzwischen
wissen, eine neue Heimat gefunden. Jetzt wenden wir uns erst
einmal von ihnen ab und gehen zurück zu den Vorgängen
auf dieser Seite.« Ich schaltete wieder auf Fernsicht: die
Gaseruptionen und der Jet, den sie genährt hatten, kamen zum
Erliegen.
»Wir sind uns nicht sicher«, sagte ich, »ob
das so geplant war und ob die Sonde ein Stadium erreicht hat, in
dem sie ohne weiteren Nachschub von der Basis weiter
beschleunigen kann, ob dies die Folge der Katastrophe ist, die
ihr soeben beobachtet habt, oder ob es sich um eine Reaktion auf
die Flucht der Arbeitskräfte mithilfe dieser erstaunlichen
Raumschiffskonstruktion handelt.«
Suze grinste breit.
»Das war schon eine tolle Sache, diese Flucht«,
bemerkte sie.
»Das kann man wohl sagen«, meinte Andrea.
»Ich kriege immer noch eine Gänsehaut, wenn ich das
sehe.«
»Weshalb sind sie nicht einfach heimgeflogen, ins innere
Sonnensystem?«, fragte Malley.
Ich verbarg eine Anwandlung von Schmerz hinter einem
Achselzucken. »Teilweise deshalb, weil sie ironischerweise
nicht genug Vorräte für eine lange Reise im…
äh… Normalraum hatten – mit diesem Ding
hätten sie Jahre bis zur nächsten Weltraumkolonie
gebraucht. Teilweise auch deshalb, weil ihre Anführer
– schließlich handelte es sich um ein orbitales
Arbeitslager, das nicht unbedingt als demokratisch zu bezeichnen
war – beschlossen hatten, zu den Sternen
aufzubrechen.«
»Außerdem«, fügte Tony hinzu,
»nehme ich an, dass die posthumanen Wesen sie über die
Vorgänge im inneren Sonnensystem systematisch getäuscht
haben. Wilde hat sicherlich geglaubt, wir hätten den
Funkverkehr lahm gelegt, so ziemlich das genaue Gegenteil des
tatsächlichen Sachverhalts.«
»Okay«, sagte Malley.
»Nun gut«, fuhr ich fort. »Etwa ein Jahr
später überschwemmten uns von der
Jupiteratmosphäre ausgehend virenverseuchte Funksendungen.
Wir brauchten lange, um uns davon zu erholen, und noch
länger, um uns ein Bild von der Lage zu machen. Fünf
Jahre später entdeckten unsere Teleskope jedoch etwas, das
den meisten von uns mittlerweile so vertraut sein dürfte,
dass die Wirkung, die es damals hatte, schwer nachzuempfinden
ist.« Ich lachte kurz auf. »Manche jungen Leute
halten das Aussehen des Jupiters mittlerweile vermutlich für naturgegeben.«
Der Planet und die seit der Zeit, als Cassini
vorübergehend im Chaos versank, bekannten orangefarbenen
Streifen verschwammen, dann formte sich ein neues Bild, das seit
zwei Jahrhunderten Bestand hat: riesige hexagonale Gebilde,
ähnlich den Konvektionszellen in kochendem Wasser.
»Wie ihr seht, hatten sie Einfluss auf ihre Umgebung
– ob vorsätzlich oder nicht, können wir nicht
sagen. Bedenkt, mit welchem Tempo die posthumanen Wesen
arbeiteten – wurde dieses Tempo beibehalten, dann sind
für die Wesenheiten, die wir heute als Jupiteraner
bezeichnen, fünf- bis sechstausend Jahre subjektiver Zeit
verstrichen, daher könnte es sich auch um bloße
Abfallprodukte ihrer Aktivitäten handeln. Alle fünf
Jahre fallen diese Zellen in sich zusammen und bilden sich neu,
dann verändert sich auch der Funkausstoß. Wir glauben,
dass dies dem Aufstieg und Niedergang verschiedener virtueller
posthumaner Kulturen entspricht. Möglich ist aber auch, dass
sie sich auf ein prähumanes Intelligenzniveau
zurückentwickelt haben und dass der Vorgang dem
Entwicklungszyklus eines Korallenriffs oder eines Bienenstocks
entspricht. Bei den virenbehafteten Funkbotschaften könnte
es sich um einen bloßen Verteidigungsreflex handeln,
vergleichbar der Tinte des Tintenfischs oder pflanzlichen
Insektiziden.«
Yeng hob die Hand und nahm das Recht der Vorsitzenden in
Anspruch, den Vortrag unterbrechen zu dürfen.
»Die Gefahr würde sich dadurch nicht
vermindern«, erklärte sie. »Biologische
Krankheiten sind auch nicht intelligent, mitunter aber dennoch
gefährlich, und die Computerviren,
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