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Die Cassini-Division

Die Cassini-Division

Titel: Die Cassini-Division Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
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Stoizismus durch Betäubungsmittel und
Frömmigkeit durch Amoralität. Die universelle
Säure des wahren Wissens hatte ein ganzes Weltengebäude
aus Worten weggeätzt und ein Universum der Dinge
enthüllt.
    Dinge, die wir brauchen konnten.
    *
    »Das ist Ekstase für Computerfreaks!«
    Also, das ist mal ein frischer Wind, denke ich und drehe mich
um, weil ich wissen will, wer hier über die
Singularität gespottet hat. Ein Typ rempelt mich an, ein
schlanker Mann mit glattem, schwarzem, mit Gel zu einer Tolle
geformtem Haar, einem nach Lenins Vorbild modellierten Bart,
einem schmalen, sanften Gesicht und umherhuschenden dunklen
Augen. Er genießt das Gelächter, das er auf unserer
Seite ausgelöst hat, und das verlegene Lächeln auf der
anderen.
    Man schreibt das Jahr 2065, und wir sind wieder auf dem
Wrackdeck, doch der Erholungsbereich hat sich ebenso stark
ausgeweitet wie die Raumstation, die man in eine höhere
Umlaufbahn befördert hat. Wir feiern den Abschluss der
Arbeit. Es sind bestimmt mehrere hundert Leute anwesend. Zu
Anfang waren wir eine große Gruppe, doch im Laufe der
Streitereien haben wir uns buchstäblich voneinander
entfernt. Jetzt sind wir an gegenüberliegenden Seiten des
Decks massiert.
    Der Streit dauert schon Jahre an, doch bislang haben wir immer
zusammengearbeitet. Die Kontrahenten, von denen heute einige
Vertreter anwesend sind, stammen in etwa von zwei Wellen der
Weltraumbesiedlung her. Den ersten Höhepunkt hatte es in den
vierziger Jahren des einundzwanzigsten Jahrhunderts gegeben,
getragen von Pioniersiedlern und den Streitkräften der
Erdverteidigung, die sich der Herbstrevolution angeschlossen
hatten. Die zweite Welle war Ende der fünfziger und Anfang
der sechziger Jahre in den Weltraum gekommen und war geprägt
von einem ganz anderen Prozess: diesmal handelte es sich um
Techniker, Ingenieure und Wissenschaftler – und die
Superreichen –, welche die Erde bewusst aufgeben wollten,
eine ausgesprochen fortschrittliche Technik entwickelt hatten und
ihre Raketen in isolierten, belagerten Enklaven starteten. Mit
dem völlig verpfuschten und kontraproduktiven
›Aufstand der Weltraumbewegung‹ im Jahr 2059 hatten
sie ihr Pulver verschossen.
    Gleichwohl kommt immer noch Nachschub an, außerdem
setzen sie seit jeher Zwangsarbeiter ein – überwiegend
Kriminelle, die Wiedergutmachung leisten, sowie Politiker und
Kriegsgefangene von der Verliererseite der Herbstrevolution und
der nachfolgenden Konflikte –, mit deren Hilfe sie ihre
Infrastruktur aufbauen und verteidigen, im Weltraum wie am Boden.
Wir sehen darin eine Art Sklaverei, vom Unterlaufen des auf
privatem Unternehmertum und Freiwilligenarbeit beruhenden Ethos
der Weltraumbewegung ganz zu schweigen. Sie sehen darin die
Entschädigung für die jahrelange Unterdrückung in
der Zeit vor der Revolution und die ständigen
Übergriffe der fragmentierten Regierungen und der
aufgewiegelten Erdbewohner.
    Verständlicherweise haben sie kein Interesse daran, von
ihren mittlerweile ausgedehnten und selbstversorgenden
Weltraumsiedlungen aus die Menschen zu unterstützen, deren
ignorantem Wüten sie gerade mit knapper Not entkommen sind.
Wir von der ersten Welle idealistischer oder eigennütziger
Kolonisten glauben, dass sich das ignorante Wüten gerade
dadurch überwinden lässt, indem man der Erde
beisteht.
    Wir nennen uns: die ersten Siedler, die Erdtendenz, die
Schönen, die Sternenkrieger.
    Die anderen nennen wir: die Anderen, die Außenseiter,
die Computerfreaks, den neuen Pöbel.
    Die anderen nennen uns: Erdfreunde, Grünlinge, Kommis,
die Weltlichen, die Dreck-Farmer, die Weltraumfamilie
Robinson.
    Die anderen nennen sich: die Außenweltler, die
Singularitätsgang, die Futuristen, die Posthumanen.
    Ihr Traum ist die Singularität. Unser Traum ist das
Galaktische Imperium, die Föderation oder wie immer man es
nennen will. Sie lachen darüber.
    Und im Moment lachen wir über sie; zumindest lachen die
etwa ein Dutzend Leute in Hörweite des Spötters
über die etwa gleich große Außenweltlergruppe an
der anderen Seite des Decks.
    »Das ist einfach dämlich«, fährt
er fort. »Ich begreife nicht, wie jemand glauben kann, das
Computermodell eines Gehirns könne mit dem Gehirn identisch
sein. Mechanischer Materialismus! Dabei geht es doch darum, zur
Maschine zu werden. Das ist der Tod, und wer sich den
herbeisehnt, ist krank.«
    »So würdest du nicht reden, wenn du

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