Die Cassini-Division
Jaime, geht in die Kampfstation«, sagte
ich. »Legt erst ab, wenn ich es euch sage, es sei denn, ihr
macht eine unmittelbare Bedrohung aus. Jaime, berechne mal, wie
lange die Raketen brauchen werden, bis sie uns erreicht
haben…«
»Dazu wird es nicht kommen«, erwiderte Boris
trocken. »Das Bild ist Scheißdreck, Ellen.
Entweder Archivmaterial oder ein regelrechter Fake. Das sind
Anti-Raketen-Raketen, Citizens haben wir die genannt. Kometen
lassen sich damit nur dann abschießen, wenn sie einen
beinahe schon erreicht haben. Das dient bloß der
Ablenkung…«
Der Alarm brach ab, und die Voraussicht ging in einem
Gleißen unter, als die Laserkanonen ihre Ziele trafen. Das
Schiff wurde von dumpfen Schlägen erschüttert –
sie rührten nicht von Treffern her, wie ich zunächst
meinte, sondern von den Ablenkraketen, die in wahnwitzigem Tempo
und in unregelmäßiger Folge aus den Röhren im
Rumpf geschossen wurden, um die sich nähernden
Flugkörper mit einer verwirrenden Vielfalt von Funk-, Radar-
und Infrarotprofilen vom Kurs abzubringen.
»Anschnallen!«, rief Andrea. Unsere Anzüge,
die auf den Alarm mit dem Äquivalent eines konditionierten
Reflexes reagierten, verhärteten sich bereits und zogen die
Gurte stramm. Andrea aktivierte die Steuerdüsen und
schaltete, während das Schiff sich noch drehte, den
Fusionsantrieb ein. Die Beschleunigung drückte mich auf die
Liege nieder wie die Hand eines Riesen. Trotz der
Unterstützung durch den Anzug hatte ich das Gefühl, die
Rippen müssten mir von der Anstrengung des Atmens brechen.
Mir wurde schwarz vor Augen, dann, als mir der Anzug durch
Mikrometer durchmessende Röhrchen Sauerstoff ins Blut jagte,
begann meine Haut zu prickeln. Die Voraussicht – so weit
ich das durch die leuchtenden Flecken hindurch, die das auf
meinen Augäpfeln lastende Gewicht auf der Netzhaut erzeugte,
erkennen konnte – zeigte ein Gewitter sich ausdehnender
Kugelblitze.
Auf einmal befanden wir uns wieder in freiem Fall. Ich
schnappte unter Schmerzen nach Luft. Der Anzug fuhr die
zahlreichen winzigen Nadeln wieder ein; der von ihnen
ausgelöste Schmerz war vom Stechen, das mit dem wieder
einsetzenden Kreislauf einherging, nicht zu unterscheiden.
»Jeder bleibt an seinem Platz!« Andreas Warnung
war eigentlich unnötig – keiner von uns konnte auch
nur den Kopf heben. »Wir haben es geschafft«, fuhr
sie fort. »Wir haben sie abgehängt.«
Boris verschaffte sich einen Überblick über die
Kampfprotokolle und Schadensmeldungen.
»Nicht schlecht«, sagte er. »Die
Beschädigungen der Hülle halten sich in
erträglichen Grenzen. Die Carbon Conscience ist
unbeschädigt und hat sich selbständig nicht schlecht
geschlagen.«
»Was ist eigentlich passiert?«, fragte Suze
flehentlich. »Wurden wir angegriffen?«
»Aber sicher doch«, antwortete Boris. »War
aber nichts Besonderes. Sieht so aus, als wäre rund ums
Wurmloch ein kleiner Schwarm von Kometenbrechern in Wartestellung
gewesen. Gegen unsere aktive Verteidigung konnten sie nicht viel
ausrichten. Aber wir haben viele Ablenkraketen vergeudet. Das ist
bedauerlich.«
»Warum«, fragte ich und starrte ungläubig auf
den größer werdenden dunklen Kreis, der von den
Bugkameras wiedergegeben wurde, »halten wir direkt auf den
Neuen Mars zu?«
»Ah…«, sagte Andrea. »Tut mir Leid,
Genossin. War wohl ein Reflex. Wenn du willst, kann ich den Kurs
natürlich korrigieren…«
»Nein, lass mal.« Ich überdachte bereits
unsere Annäherung, im übertragenen wie im
wörtlichen Sinn. Die Fernsehnachrichten kamen immer noch
rein.
»… hat das Ufo unsere erste Verteidigungslinie
durchbrochen und hält unmittelbar auf uns zu! Bleiben
Sie dran…«
»›Ufo‹, in der Tat!«, bemerkte
Malley. »Eine Frechheit!«
»Was ist ein Ufo?«, fragte Yeng.
»Daran glaubten die Menschen, bevor sie das wahre Wissen
erlangten«, erwiderte Malley spitz.
»Yeng«, sagte ich, ehe ihre Verwirrung sich in
Verärgerung verwandeln konnte, »könnten wir
vielleicht in das neumarsianische Kommunikationsnetz eindringen
und diese Nummer anrufen?«
»Du meinst, die Gesellschaft für wechselseitigen
Schutz?«
»Ja, warum nicht? Suze, glaubst du, du könntest mit
denen reden? Einen Deal aushandeln?«
Suze lachte. »Das weiß ich nicht, jedenfalls
könnte ich sie ganz schön wirr machen.«
»Einen Versuch ist es jedenfalls wert«, sagte ich.
»Also gut, Leute, bleibt noch angeschnallt. Schluss
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