Die Champagnerkönigin
wissen.
Isabelle, die Claras Unsicherheit spürte, sagte: »Keine Sorge, wir bleiben nicht lange. Bevor Ghislaine heute Abend ihr Restaurant öffnet, muss ich Margerite bei ihr abholen.« Sie gab ihrer Tochter einen Kuss auf den Kopf.
Margerite … Beim Anblick des Kindes verspürte Clara eine tiefe Traurigkeit. Vielleicht war es ganz gut, den Tag in Reims zu verbringen. Eleganz und Luxus statt eines Gesprächs, das sie am liebsten bis ans Ende aller Zeiten hinausgezögert hätte.
Zufrieden schaute sich Raymond Dupont an seiner Geburtstagstafel um. Der Bürgermeister von Reims und seine Gattin sowie deren Tochter waren da, dazu weitere Honoratioren der Stadt. Louis Pommery vom gleichnamigen Weingut, neben ihm sein Schwager, der Comte Guy de Polignac samt Frau, Joseph Krug der II., Maurice und Georges Pol Roger samt ihren Ehefrauen aus Épernay, dazu Henriette und Alphonse Trubert – die ganze Elite der Champagne hatte sich um seinen Tisch eingefunden. Lediglich Edgar Ruinart fehlte, der alte Herr hatte eine Audienz beim russischen Zaren – was Raymond als Entschuldigung, seinem Fest fernzubleiben, gern durchgehen ließ.
Außer den Champagnerbaronen hatte Raymond eine Primaballerina des Pariser Balletts eingeladen, die er auf einer seiner Reisen kennengelernt und mit der er eine anregende Nacht verbracht hatte, und dazu noch eine atemberaubend schöne Schauspielerin des Theaters in Reims. Beide Damen hingen wie gebannt an seinem Mund. »Madame Raymond Dupont« – dieser Titel versprach in ihren Augen mindestens so viel Klang, Geld und Ruhm wie der einer Comtesse oder Baronin. Im Licht der Kronleuchter und Lüster glänzten ihre falschen Diamanten in ihren weit ausgeschnittenen Dekolletés und aufwendig hochgesteckten Frisuren. Der Duft ihrer zu schweren Parfüms wehte über den Tisch und verdichtete sich in Raymonds empfindlicher Nase mit den Wohlgerüchen seiner feinen Speisen zu einer überladenen Melange.
Doch selbst wenn sie lieblich wie ein Maienmorgen geduftet hätten – in Raymonds Augen waren die beiden Künstlerinnen nicht mehr als eine Zier für seine Tafel, so wie die langstieligen Rosen und die Servietten mit Brüsseler Spitze. Ein Jäger wie er schätzte es nicht, wenn sich ihm der Hase direkt vor die Flinte legte – wenn die Damen das nicht wussten, hatten sie vom Leben und den Männern bisher nicht viel verstanden.
Wie viel anders war da die Dame zu seiner Rechten! Isabelle Feininger. Auch sie trug Schmuck. Auch sie hatte ihre Haare aufwendig geflochten und hochgesteckt. Doch wirkte bei ihr alles natürlicher, von lässiger Eleganz. Isabelle wollte niemanden beeindrucken, das hatte sie gar nicht nötig. Dasselbe galt für die Art und Weise, wie sie sich in der erlesenen Tischrunde schlug. Bei ihrem Wortwitz und ihren geistreichen Bemerkungen schaute jeder gern über ihr manchmal etwas holpriges Französisch hinweg. Dass Adlige in ganz Europa fließend Französisch sprachen, war üblich, schließlich galt es als die Hofsprache. Aber dass eine Bürgerliche so gut Französisch sprach, war bemerkenswert, so lautete die einhellige Meinung der Herren am Tisch. Die Damen hingegen betrachteten Isabelle mit eher säuerlicher Miene, ihnen missfiel es, dass ihre Männer die Deutsche wie Fliegen das Licht umschwirrten. Vor allem die Pariserin warf Isabelle immer wieder giftige Blicke zu, die diese jedoch geflissentlich ignorierte.
Ihrer alten Widersacherin Henriette Trubert schenkte Isabelle ebenfalls keine Aufmerksamkeit. Als sie ihrer beim Eintreten gewahr wurde, hatte sie unmerklich gestutzt, das hatte Raymond sehr wohl gesehen. Doch dann nickte sie Henriette hoheitsvoll und kühl zugleich zu. Gut so!, lobte Raymond Isabelle im Stillen. In der Champagne war es unmöglich, seinen Feinden aus dem Weg zu gehen. Umso wichtiger war es, ihnen mit erhobenem Haupt zu begegnen.
»Und wie läuft es sich auf Freiersfüßen?«, hatte Henriette am frühen Abend von ihm wissen wollen. Er war auf dem Weg in die Küche gewesen, um seinem Koch letzte Anweisungen für das Diner zu geben, als sie ihn abgefangen hatte. »Ich hoffe doch sehr, dass doch noch die Hochzeitsglocken für dich und deine junge Braut klingen werden. Dann wärst du endlich nicht mehr einsam«, hatte sie hinzugefügt.
Raymond hatte sich abermals gefragt, was er in dieser Frau einst gesehen hatte. Ihre aufdringliche Art, sich in sein Leben einzumischen, mehr noch, ihn zum Spielball ihrer ureigenen Interessen zu machen, widerte ihn inzwischen
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