Die Chancellor
als
Zeltdach dient, wäre es hier wohl kaum auszuhalten.
Um 5 Uhr nehmen wir gemeinsam einen Imbiß ein,
der aus Schiffszwieback, gedörrtem Fleisch und einem
halben Glas Wasser pro Mann besteht. Mrs. Kear, die
in heftigem Fieber daniederliegt, ißt nichts. Mrs. Her-
bey vermag ihr nur dadurch einige Erquickung zu ver-
schaffen, daß sie die brennenden Lippen der Kranken
von Zeit zu Zeit benetzt. Die unglückliche Frau leidet
schwer; ich bezweifle, daß sie diesen Zustand lange aus-
halten wird.
Ihr Mann hat sich auch nicht einmal nach ihr er-
kundigt. Gegen viertel vor 7 aber scheint es doch, daß
das Herz dieses Egoisten zu schlagen beginnt. Mr. Kear
ruft nach einigen Matrosen vom Vorderdeck und bit-
tet sie, ihm zum Verlassen des Besanmasts behilflich zu
sein. Will er sich nun vielleicht zu seiner Frau nach dem
Großmast begeben?
Die Matrosen beachten den Ruf Mr. Kears nicht so-
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fort. Dieser wiederholt seine Bitten dringender und
verspricht denen eine gute Belohnung, die ihm diesen
Dienst leisten würden.
Jetzt begeben sich zwei Matrosen, Burke und Sandon,
über die Schanzkleidung hin nach dem Besanmast und
steigen nach dem Mastkorb.
Mit Mr. Kear feilschen sie lange um die Bedingungen
für ihre Bemühung. Offenbar verlangen sie viel, und der
Erdölbaron will nur wenig geben. Schon schicken sich
die Seeleute wieder an, den Passagier an seinem Platz
zurückzulassen. Endlich wird man einig und Mr. Kear
zieht ein Päckchen Papierdollars hervor, das er dem ei-
nen Matrosen gibt. Dieser zählt die Summe sorgfältig
durch, und es scheint mir, daß er mindestens 100 Dollar
in der Hand hat.
Es geht nämlich, wie ich gewahr werde, darum, Mr.
Kear längs der Besanstagen nach dem Vorderkastell zu
befördern. Burke und Sandon umwickeln jenen mit ei-
nem Tau, das sie um die Stagen schlingen; dann lassen
sie ihn unter Nachhilfe einiger Rippenstöße wie ein
Kolli vor sich hergleiten, was nicht ohne ein spöttisches
Gelächter ihrer Kameraden abgeht.
Aber ich hatte mich getäuscht. Mr. Kear fiel es gar
nicht ein, seine Frau im Mastkorb aufsuchen zu wol-
len. Er bleibt auf dem Vorderkastell in Gesellschaft Silas
Huntlys, und die eintretende Dunkelheit verwehrt mir,
weiteres zu erkennen.
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Die Nacht bricht an; der Wind hat sich gelegt, aber
die See geht hohl.
Der Mond, schon seit 4 Uhr nachmittags am Hori-
zont, wird nur dann und wann zwischen Wolkenstreifen
sichtbar. Die niedrigeren färben sich am Horizont mit
rötlichem Ton, was für morgen eine steife Brise erwar-
ten läßt. Gott gebe, daß sie aus Nordosten weht und uns
auf das Land zu treibt, denn jede andere Windrichtung
wäre für uns verderblich, wenn wir erst auf dem Floß
eingeschifft sind, das nur mit dem Wind im Rücken ei-
nige Fahrt machen kann!
Robert Kurtis ist gegen 8 Uhr nach unserem Mast-
korb gekommen. Ich bin der Meinung, daß ihm der An-
blick des Himmels Sorge bereitet und er im voraus be-
obachten will, was für Witterung morgen sein werde.
Eine Viertelstunde lang beobachtete er; dann drückt er
mir, vor dem Herabsteigen, ohne ein Wort zu sagen, die
Hand und nimmt seinen Platz auf dem Oberdeck wie-
der ein.
Ich versuche auf dem beengten Raum des Mastkorbs
zu schlafen, kann aber nicht dazu gelangen. Böse Ah-
nungen beunruhigen mich. Die Atmosphäre kommt mir
»gar zu ruhig« vor. Kaum streicht von Zeit zu Zeit ein
Lüftchen durch das Takelwerk und läßt die Metallfäden
darin ertönen. Indessen, das Meer »fühlt« etwas, denn
es bleibt in hochgehender Bewegung und unterliegt of-
fenbar der Rückwirkung eines entfernten Sturms.
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Gegen 11 Uhr nachts leuchtet einmal der Mond mit
hellem Schein in dem Zwischenraum zweier Wolken,
und das Wasser erglänzt, als würde es von unten her er-
hellt.
Ich erhebe mich und blicke hinaus. Sonderbar. Ich
glaube einige Augenblicke einen dunklen Punkt wahr-
zunehmen, der sich mitten in der intensiven Weiße der
Wellen hebt und senkt. Ein Felsen kann das nicht sein,
da er die Bewegung der See mitmacht, und wahrschein-
lich hat mich eine Illusion getäuscht.
Dann verschleiert sich der Mond von neuem, und es
wird tief dunkel, so daß ich mich nahe der Backbord-
strickleiter wieder niederlege.
27
6. Dezember. – Ich habe einige Stunden schlafen kön-
nen. Um 4 Uhr morgens weckt mich das Pfeifen des
Windes, und ich vernehme Robert Kurtis’ Stimme, die
noch das Brausen der Windstöße, unter denen die
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