Die Chaos Queen
ernährte sich weiterhin flüssig, und was Grandma aß, wusste ich nicht, da ich sie nicht sehen konnte.
»Valerie hat angerufen, als sie in Orlando aus dem Flugzeug gestiegen sind. Sie meinte, Alberts Atembeschwerden seien schon besser und seine Panikattacken hätten auch nachgelassen«, erklärte meine Mutter.
Mein Vater grinste vor sich hin und murmelte etwas, das wie »verdammt clever« klang.
»Wie hat Sally darauf reagiert?«, fragte ich meine Mutter. »Er war doch bestimmt fertig mit den Nerven, als alles abgesagt wurde.«
»Zuerst ja, aber dann hat er gefragt, ob er das Hochzeitskleid haben dürfte. Er meinte, er könnte es ändern lassen und dann auf der Bühne tragen. Es wäre ein ganz neuer Look für ihn.«
»Das muss man ihm zugutehalten«, meinte Grandma, »Sally lässt sich immer etwas einfallen. Der ist nicht auf den Kopf gefallen.«
Ich hatte das Kuchenmesser in der Hand. »Möchte jemand Torte?«
»Ja«, sagte Morelli und schob seinen Teller vor. »Her damit!«
»Ich hab gehört, deine Garage ist in die Luft geflogen«, sagte Grandma zu ihm. »Emma Rhinehart meinte, sie wäre wie eine Silvesterrakete hochgegangen. Hat ihr Sohn Chester erzählt. Chester liefert Pizza aus für diesen neuen Laden in der Keene Street, er musste gerade zwei Häuser weiter was abgeben. Er hat erzählt, er hätte eine Abkürzung durch die Gasse genommen, und da wäre es auf einmal passiert. Direkt vor ihm. Er meinte, es wäre echt unheimlich gewesen, weil er fast mit so einem Kerl zusammengestoßen wäre, der direkt hinter deinem Haus in der Gasse stand. Der hätte ausgesehen, als ob sein Gesicht geschmolzen wäre oder so. Wie in einem Horrorfilm.«
Morelli und ich sahen uns an und dachten beide dasselbe: Spiro.
Eine Stunde später half ich Morelli, die Stufen der Veranda herunterzuhüpfen und über den Rasen zum Auto zu gelangen. Ich hatte den Buick in der Einfahrt geparkt und einen Jungen aus der Nachbarschaft bestochen, auf ihn aufzupassen. Ich lud Morelli ins Auto, gab dem Jungen fünf Dollar und lief zurück ins Haus, um meinen Anteil an den Resten einzufordern.
Meine Mutter hatte Klopse für mich eingepackt, jetzt stand sie mit der Torte vor mir. Auf dem Stuhl war ein Pappkarton, in der Hand hielt sie ein Messer. »Wie viel willst du?«, fragte sie.
Neben ihr wartete Grandma. »Vielleicht schneide ich besser die Torte«, sagte sie. »Du bist beschwipst.«
»Ich bin nicht beschwipst«, widersprach meine Mutter betont langsam.
Da hatte sie recht. Meine Mutter war nicht beschwipst. Sie war sternhagelvoll.
»Ich sag dir, wir können von Glück reden, wenn wir dieser Tage nicht zu Dr. Phil fahren müssen«, meinte Grandma.
»Ich finde Dr. Phil nett«, gab meine Mutter zurück. »Der ist süß. Ich hätte nichts dagegen, mal ein bisschen Zeit mit ihm zu verbringen, wenn du weißt, was ich meine.«
»Ich weiß, was du meinst«, gab Grandma zurück. »Und bei der Vorstellung dreht sich mir der Magen um.«
»Los, wie viel willst du von der Torte haben?«, wiederholte meine Mutter ihre Frage. »Die ganze?«
»Du willst doch nicht die ganze Torte!«, sagte Grandma zu mir. »Davon bekommst du Zucker. Du und deine Mutter, ihr habt keine Selbstbeherrschung.«
»Wie bitte?«, rief meine Mutter. »Ich habe keine Selbstbeherrschung? Hast du gerade gesagt, ich hätte keine Selbstbeherrschung? Ich habe die allergrößte Selbstbeherrschung von allen! Guck dir diese Familie an! Ich habe eine Tochter, die mit ihrem Knuddelkuschihäschen in Disney World ist. Ich habe eine Enkeltochter, die sich für ein Pferd hält. Ich habe eine Mutter, die sich für siebzehn hält.« Meine Mutter drehte sich zu mir um. »Und du! Bei dir weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll.«
»So schlimm bin ich gar nicht«, widersprach ich. »Ich nehme mein Leben wenigstens selbst in die Hand. Ich tue etwas.«
»Du bist eine wandelnde Katastrophe«, sagte meine Mutter.
»Und du hast eben sieben Stück Kuchen gegessen.«
»Stimmt ja gar nicht!«
»Und ob! Du bist ein Tortoholiker.«
»Ich find’s nicht schlimm, dass ich mich für siebzehn halte«, meinte Grandma. »Besser als eine alte Schachtel ist das allemal. Vielleicht sollte ich mir die Möpse machen lassen, dann könnte ich richtig scharfe Klamotten anziehen.«
»Gütiger Himmel!«, sagte meine Mutter. Und leerte ihr Glas.
»Ich bin kein Tortoholiker«, wehrte ich mich. »Ich esse nur bei besonderen Anlässen Torte.« Nämlich montags, dienstags, mittwochs, donnerstags …
»Du
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