Die Chaosschwestern sind unschlagbar - Mueller, D: Chaosschwestern sind unschlagbar
die Wahrheit zu sagen. Ich habe nämlich die Erfahrung gemacht, dass es nur wenige Fälle gibt, in denen die Wahrheit eine wirklich kluge Entscheidung ist.
»Ähm, ich …«, fange ich vorsichtig an.
In diesem Augenblick klingelt das Telefon.
Gerettet! Nun brauche ich mir nicht mal eine Notlüge auszudenken. Ein Glück! Cornelius ist bei meinem letzten Job im Eisladen nämlich genauso ausgeflippt wie bei dem Besuch von Javier und Ramón. Bloß weil ich ihm genauso wenig davon erzählt hatte. Rema erhebt sich und greift zum Hörer. »Rittberg. Bei Martini.«
In einer Sekunde werde ich mich unauffällig zur Tür schleichen und – wupps – bin ich draußen und dann nix wie weg.
Nein! Ich bin ja noch im Nachthemd! Ich muss mich ja noch komplett fertig machen!
Ach, manchmal beneide ich Livi! Die braucht ungefähr dreißig Sekunden, um vom Bett in Jeans und Pulli zu springen, und weitere dreißig Sekunden, um fertig auf der Straße zu stehen. Und dann sieht sie nicht schlechter aus als sonst.
Aber auch nicht besser! Mann, wie gern würde ich Livi mal schminken! Die könnte echt superhübsch aussehen!
Was – Moment mal! – was redet Rema denn da?
Und wieso guckt sie mich so erstaunt an?
»Ja, in Ordnung, werde ich ausrichten. – Nein, sie steht direkt neben mir. – Ja, ich kann Sie auch kurz weitereichen.« Rema hält mir mit vorwurfsvollem Blick den Hörer hin.
Was? Wer ist denn das? »Äh, hallo? Hier ist Tessa-Tiara Martini?«
»Tessa!«, höre ich eine etwas aufgeregte Stimme. »Hier ist Marion Petersen. Es ist zehn nach zehn und du hast versprochen, um zehn hier zu sein. Mein Mann und ich müssen zum Zug, sonst sind wir abends nicht pünktlich zurück!«
Marion Petersen! Oh, und schon zehn nach zehn? Oh, Sch…!
Ich murmele schnell alle Entschuldigungen, die mir spontan einfallen. Darin bin ich ziemlich erfahren. Erwähne sogar kurz das eingestürzte Dach.
Aber genau das ist der Moment, in dem Marion Petersen anfängt, tief und hektisch Luft zu holen und dann eine Spur zu laut auszuatmen. Sie klingt, als würde sie mir kein Wort glauben und allmählich die Geduld verlieren.
Ich sag’s ja, die Wahrheit ist nicht immer die beste Idee.
»Ich bin in einer halben Stunde da!«
»In Ordnung«, antwortet Marion Petersen leicht genervt. »Dann schaffen wir es vielleicht noch zum nächsten Zug.«
Wir hängen auf.
Mist! Jetzt krieg ich nicht mal mehr meine Haare gewaschen. Hm, na gut, ein dreijähriger Junge merkt das ja vielleicht gar nicht.
Auf der anderen Seite … Auch wenn ich den ganzen Tag mit Klein-Timmi, der sich vermutlich tatsächlich mehr für seine Bauklötze als für meine Frisur interessiert, in einer Wohnung eingesperrt sein werde, kann es ja trotzdem mal an der Tür klingeln. Oder ich könnte auch auf den Spielplatz mit ihm gehen. Und dann möchte ich verständlicherweise nicht aussehen wie ein Gespenst mit Schuppen.
»Tessa?« Rema steht vor mir und sieht aus, als warte sie auf eine Erklärung. »Du hast also wieder einen Job?«
»Ähm, ja«, gebe ich zu und streiche mir nervös ein paar Strähnen aus dem Gesicht.
»Wissen Cornelius und Iris davon?«
»Ähm … Iris schon, Cornelius nicht«, murmele ich, »hatte noch keine Gelegenheit, ihm davon zu erzählen.«
»Ach, ach, ach«, seufzt Rema da und schüttelt besorgt den Kopf. Aber sie lächelt mich dabei an. »Wenn das mal keinen Ärger gibt! Du weißt doch, dass Cornelius im Prinzip nichts dagegen hat, dass du neben der Schule ab und zu jobbst. Er möchte es nur wissen .«
»Hrrmmff«, grunze ich. Denn das ist es ja, was ich nicht mag. Dass Cornelius seine Nase in alles reinsteckt, was ich tue. Dabei bin ich doch praktisch erwachsen!
Rema tätschelt meinen Arm und rollt ein klein wenig mit den Augen. Ich glaube, manchmal findet sie auch, dass Cornelius etwas übertreibt. »Na, nun lauf los! Die Leute warten ja offensichtlich auf dich!«
»Danke, Rema!«, lächele ich und gebe ihr einen Kuss. Wenn Cornelius doch bloß genauso entspannt wäre!
Keine halbe Stunde später – Rekordzeit! – stehe ich, sanft umwölkt von einer angemessenen Portion aus Iris’ teuerstem Parfümflakon, im Wohnzimmer von Familie Petersen, und Klein-Timmi klebt mir schon am Bein. Wie Kaugummi. Nur noch feuchter.
Man glaubt es nicht! Der sabbert aus dem Mund wie der Boxer von Dodos Eltern. Gehorchen tut er aber nicht halb so gut. Traue mich außerdem nicht, es mal mit einem energischen »Sitz!« zu probieren, solange Timmis Eltern noch hier
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